Die Endspiel-Dramen 1922
Der Zusammenschluss der beiden Hamburger Vereine Germania und HFC zum Hamburger SV im Jahr 1919 zahlt sich für den neuen Club postwendend aus. Für die Herbst-Spielserie 1919/20 meldet der HSV 28 Fußballteams, gut ein Jahr später schon 53. Die nachhaltigste Aussteuer bringt der HFC in den neuen Großverein ein: Dessen Rothenbaum-Platz dient als Haupt-Spielstätte, um die Ecke erwirbt der HSV eine Jugendstilvilla als Clubheim. Sportlich steuert der HFC vor allem den wuchtigen Stürmer Otto "Tull" Harder bei, den ersten HSV-Superstar. Mit Spielern seines Kalibers lassen sich höhere Ziele anpeilen als die Nordmeisterschaft, die die Hamburger 1922 vor Holstein Kiel erreichen.
Mit einem sensationellen 4:0 in der Vorschlussrunde über Wacker München zieht der HSV 1922 in das Finale um die deutsche Meisterschaft gegen den scheinbar übermächtigen 1. FC Nürnberg ein. Das Berliner Endspiel geht in die DFB-Historie ein. Eine Hitzeglocke liegt über dem Grunewaldstadion, zwei gleichwertige Teams liefern sich ein bis heute beispielloses Abnutzungsgefecht. 2:2 steht es nach regulärer Spielzeit. Zur Einmaligkeit des Finales von 1922 trägt das Fußball-Regelwerk bei: Verlängerung bis zum "Golden Goal", Auswechseln ist nicht erlaubt. 19 Mal haben Sanitäter schon verletzte oder entkräftete Spieler vom Feld getragen, es geht auf 21 Uhr zu. Die Zuschauer verlangen lautstark den Abbruch, als Schiedsrichter Peco Bauwens ein Einsehen hat - nach drei Stunden und 45 Minuten Spielzeit.
HSV zum Titelverzicht genötigt
Der DFB lässt sich mit der Wiederholung fast zwei Monate Zeit - bis zum 6. August. 60.000 Menschen überfüllen das Leipziger VfB-Stadion. Die Spieler beider Teams benötigen eine halbe Stunde, um sich von den Umkleidekabinen auf den Platz zu drängeln. Und das Berliner Drama findet in Sachsen eine angemessene Fortsetzung. 1:1 nach 90 Minuten, erneut Verlängerung. Nürnberg dezimiert sich während der Verlängerung durch zwei Platzverweise und zwei Verletzungen - weil nach damaligen Regeln acht Spieler pro Mannschaft auf dem Platz stehen müssen, bricht der Unparteiische nach 105 Minuten ab. Das von DFB gewünschte dritte Finale lehnt der HSV ab. Der Verband findet schließlich eine kreative Lösung: Er erklärt im November auf seinem Bundestag in Jena die Hamburger zum Meister, unter der Voraussetzung, dass sie auf den Titel verzichten. Das Hamburger Vorstandsmitglied Henry Barrelet erklärt denn auch entsprechend, dass der HSV "keinen Anspruch auf die diesjährige Meisterschaft erhebt". 1922 - ein Jahr ohne deutschen Fußballmeister.
18.6.1922: HSV – 1. FC Nürnberg 2:2 (2:2, 1:2) n.V.
HSV: Martens, Beyer, Schmerbach, Flohr, Halvorsen, Krohn, Kolzen, Breuer, Harder, Schneider, Rave.
Zuschauer: 40.000.
Tore: 1:0 Rave (19.), 1:1 Träg (20.), 1:2 Popp (30.), 2:2 Flohr (86.)
6.8.1922: Wiederholung, HSV – 1. FC Nürnberg 1:1 (1:1, 0:0) n.V.
HSV: Martens, Beyer, Agte, Flohr, Halvorsen, Krohn, Kolzen, Breuer, Harder, Schneider, Rave.
Zuschauer: 50.000.
Tore: 0:1 Träg (48.), 1:1 Schneider (69.)