"Wir brauchen ehrlich und fair geführte Debatten!"
Die Diskussion um die 'Erklärung 2018' reißt nicht ab. Der umstrittene Aufruf wendet sich gegen die Asylpolitik der Bundesregierung, gegen die, Zitat, "illegale Masseneinwanderung." Intellektuelle wie Uwe Tellkamp und Vera Lengsfeld gehörten zu den ersten Unterzeichnern. Inzwischen wurde die Erklärung in eine Petition an den Deutschen Bundestag umgewandelt, mehrere zehntausend Menschen haben sie bereits unterschrieben. Doch es gibt auch zahlreiche kritische Stimmen.
Ein Kommentar von Hilal Sezgin
Jetzt haben sie also eine Petition an den Bundestag daraus gemacht: Lieber Bundestag, unternimm was! Schütze uns vor der "illegalen Masseneinwanderung"! Stelle die "rechtsstaatliche Ordnung wieder her"! Als ob es eine Masseneinwanderung gäbe, und als ob die rechtsstaatliche Ordnung "an unseren Grenzen" irgendwie gefährdet wäre. Die Unterzeichner der sogenannten Erklärung 2018 verstehen sich als Intellektuelle, als Schriftsteller, vermeintlich nicht als "Rechte" - doch was hilft das, wenn Inhalte und Phrasen dieselben wie bei der Rechten sind? In den wenigen Sätzen ihrer "Erklärung" argumentieren sie geradezu tollkühn an den tatsächlichen Sachverhalten vorbei und sind damit ein weiterer Beweis dafür, dass das Modewort des Post-Faktischen leider seine Berechtigung hat.
Die Zahlen sprechen für sich
Denn Flucht vor Krieg ist keine Einwanderung. Und Flüchtlinge kommen nicht in Massen. Die Zahlen der nach Deutschland Geflüchteten gehen, so das Bundesamt für Migration und Flüchtling, zurück; die Anerkennungszahlen zeigen, wie viele davon sogar nach strengsten Maßstäben schlicht ihr völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Schutz in Anspruch nehmen. Und der Prozentsatz der erfolgreichen Klagen bei abgelehnten Asylanträgen zeigt, dass die Menge der Berechtigten sogar noch deutlich größer ist.
Eine Frage der Rechtsstaatlichkeit
Das alles ist rechtsstaatlich. Nicht rechtsstaatlich ist es, Menschen pauschal an Grenzen abzuweisen, bevor sie ihre Bitte auf Schutz vorbringen können. Völkerrechtlich sehr umstritten ist daher zum Beispiel das Vorgehen von Frontex, also jener Agentur, deren Schiffe die Flucht übers Mittelmeer behindern; problematisch auch die Kooperation mit Unrechtsregimes an den Grenzen Europas.
Offensichtlich geht es bei dieser Erklärung respektive Petition nicht um Fakten. Wer eine Petition beim Bundestag einreicht, scheint sich der ehrwürdigen Mittel der parlamentarischen Demokratie bedienen zu wollen; aber Parlamente und Demokratien leben von ehrlich und fair geführten Debatten. Da muss man gewillt sein, mal ein paar Zahlen und Statistiken zur Kenntnis zu nehmen. Da muss man anerkennen, was die Verfassung vorgibt und was nicht.
Es geht mal wieder um den Islam
Nicht rechtsstaatlich ist es auch, den Stab über eine ganze Bevölkerungsgruppe zu brechen und diffuse Verdächtigungen gegen sie auszusprechen. Denn machen wir uns nichts vor, Tellkamp und seine Mitunterzeichner erwähnen sie nicht explizit, aber alle wissen, um wen es mal wieder geht: die Araber, die Türken, die Afghanen - die Muslime. Die Erklärung 2018 knausert nicht zufällig so sehr mit Worten, sondern lässt eine große Leerstelle, in der jeder andere nach Belieben Abdullah, Reza oder Mohammed einsetzen kann. Tellkamp & Co brauchen gar nicht weiter auszuführen, von wem Deutschland bedroht sei, denn dieser Diskurs läuft längst auf fest verlegten Gleisen. "Der Islam gehört zu Deutschland" - "Tut er nicht!" - "Tut er wohl!" - So geht das seit Jahren. "Doch nicht!" sagte der neue Bundesinnenminister Seehofer jetzt. Es ist, wie wenn man ein Pflaster samt Schorf ständig wieder abreißt. Heilung und Wachstum hilft das nicht.
Heimat bedeutet auch, sich nicht ständig rechtfertigen zu müssen
Wir in Deutschland lebenden Muslime sind darauf angewiesen, dass man uns als Individuen ernst nimmt und nicht als Inventar von Schubladen ansieht. Dass man nicht von unserem Namen auf unsere Gesinnung und von unserer Kopfbedeckung auf unser Demokratieverständnis und von unserer Hautfarbe auf unsere Heimat schließen zu können meint. Heimat aber bedeutet auch, dass man nicht ständig rechtfertigen muss, dass und warum und wie lange man schon da ist.
Während Seehofer nach Berlin vorgerückt ist und seine Vorstellung von einer engmaschig überwachten "Heimat" nunmehr auch national geltend machen kann, hat sein Heimatland Bayern selbst noch mal nachgelegt. Bayern will die Polizei mit den massivsten Befugnissen ausstatten seit 1945. Zum Beispiel dürfte die Polizei ohne richterliche Genehmigung in Telekommunikation und Briefpost eingreifen und Bürgern verbieten, ihren Wohnort zu verlassen.
Tellkamp & Co warnen vor der Islamisierung des Abendlands. Eher droht uns die Metamorphose in einen blau-weißen Überwachungsstaat. Und das gibt tatsächlich Grund zur Sorge.