Niedersachsens Ausstiegsprogramm für Islamisten
Die salafistische Szene in Niedersachsen wächst. Und auch immer mehr radikale Islamisten, die sich der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen hatten, kommen zurück aus den Kampfgebieten in Syrien und dem Irak. Niedersachsen reagierte darauf, wie andere Bundesländer auch, mit einem Aussteigerprogramm: der „Aktion Neustart Islamismus“. Die Mitarbeiter stehen allerdings vor besonderen Herausforderungen. Das wurde in dieser Woche bei einer Veranstaltung des Verfassungsschutzes in Hannover deutlich. Experten aus mehreren Bundesländern diskutierten über Aussteigerprogramme für Extremisten.
Warum geraten jungen Menschen in den Sog extremistischer Gruppen? Fachleute geben darauf eine übereinstimmende Antwort. Extremisten hätten ein Gespür für junge Menschen, die unsicher sind, sich ausgegrenzt fühlen oder sich quälen mit Fragen nach der eigenen Identität. Auch Thomas Mücke, Geschäftsführer eines bundesweit aktiven Netzwerks für Gewaltprävention, hat diese Erfahrung gemacht: "Genau diese Fragestellungen greifen Extremisten auf, geben scheinbar einfache Antworten. Aber vor allem bieten sie eines an, nämlich Zugehörigkeit. Und wenn man sich zum Beispiel das anschaut in der salafistischen Szene, diese Warmherzigkeit etwa, das verfängt erst einmal bei jungen Menschen."
Der Ausstieg ist für Islamisten schwieriger als für andere Extremisten
Thomas Mücke betont, dass die Ideologie beim Einstieg in eine extreme Szene meist keine Rolle spiele. Sei aber das Weltbild nach einigen Monaten gefestigt, sei der Ausstieg für Islamisten schwieriger als für Links- oder Rechtsextremisten. So jedenfalls erlebt es auch Benno Köpfer vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg: "In dem Moment, wo jemand aus der islamistischen Szene rausgeht, wird er immer noch Muslim oder Muslimin bleiben. Er wird in der Regel nicht aus der Religion aussteigen", sagt Köpfer. "Das heißt, es ist eine größere Herausforderung, hier mit jemandem zu arbeiten, der ein geschlossenes Weltbild erworben hat mit klaren eindeutigen Wahrheiten. Er soll jetzt plötzlich diskutieren und auch Aspekte seiner Religion möglicherweise in Frage stellen dürfen
Einfacher sei das, so Köpfer, im weltanschaulichen Bereich, etwa bei den Rechtsextremisten: "Wo man dann relativ bald auch brechen kann mit völkischen, rassistischen, antisemitischen Vorstellungen."
Erste Erfolge mit dem Aussteigerprogramm „Aktion Neustart Islamismus“
Für einen erfolgreichen Ausstieg aus extremistischen Gruppierungen müsse aber nicht nur die Ideologie aufgearbeitet werden, sondern auch die Gewaltbereitschaft. Dies gestalte sich mit Islamisten ebenfalls schwieriger als mit Rechts- oder Linksextremisten, betont Köpfer.
"Die Bearbeitung von Gewaltlegitimationen ist natürlich eine andere Herausforderung, wenn sie aus einem religiösen Kontext geschöpft wird. Anders als jetzt bei Marx, Engels, Mao oder eben Hitlers 'Mein Kampf', wo es ja auch um Gewalt und Auslöschen geht, die man dann eben als Menschenideen abtun kann." Für einen gläubigen, praktizierenden Muslim seien das gottgegebene Glaubensgrundsätze. "Wenn dort in Koran oder Sunna entsprechend Gewaltlegitimationen geschöpft werden, das sind diese kleinen Versatzstücke „Tötet die Ungläubigen, wo ihr sie findet“ und ähnliches, dann ist die Auseinandersetzung schwieriger zu führen als in anderen Kontexten."
Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat 2016 das Aussteigerprogramm „Aktion Neustart Islamismus“ aufgelegt. Vier Mitarbeiter sind damit beschäftigt. 43 Kontakte zu Islamisten verzeichnen sie bisher. Zwei sind aus der Szene ausgestiegen, sechs werden zurzeit betreut. Dass diese Arbeit besonders herausfordert, bestätigt auch Daniela Schlicht, Leiterin des gesamten Präventionsbereichs: "Was das Thema Religion und Gewalt angeht - in der Tat, das ist etwas, da mussten wir teilweise erst viel lernen. Das ist auch nach wie vor zum Teil eine Suchbewegung."
Der Ausstieg hängt auch von der öffentlichen Diskussion ab
Aber, so betont die Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, wie viele Islamisten zum Ausstieg bewegt werden können, hänge auch von der öffentlichen Diskussion ab. Die sei oft geprägt von Misstrauen und Unkenntnis über den Islam sowie den Islamismus. Das beeinflusse auch potentielle Aussteiger. "Dieser öffentliche Diskurs spielt durchaus auch mit da hinein, wie man mit Einzelnen diese Themen angehen kann", erklärt Daniela Schmidt. " Denn niemand geht ja unvorbelastet durch den öffentlichen Diskurs in einen Ausstiegsprozess. "
Schlicht liegt damit ganz auf der Linie ihre Chefs. Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut hatte zu Beginn der Expertendebatte betont, dass es auch von der Gesellschaft abhänge, ob Extremisten der Ausstieg gelingt.