Beleidigungen und Angriffe: Mehr Gewalt gegen Einsatzkräfte
Übergriffe in der Silvesternacht auf Rettungskräfte und Polizei haben zu einer Debatte rund um Gewalt gegen Einsatzkräfte geführt. Die Zahlen haben sich laut Innenministerium nur leicht erhöht - die Gewerkschaft der Polizei sagt jedoch, dass die Art der Angriffe brutaler geworden sei.
Es ist kurz vor Mitternacht. Bogdan Martel steht am Ende eines dunklen Flures - überall Flaschen, Berge von Kleidung. Die Feuerwehr hat die Wohnungstür aufgebrochen - Nachbarn hatten Schreie gehört und die Polizei gerufen. Dann, ganz unvermittelt, fallen Schüsse. "Ich habe nur drei, vier Feuerballen gesehen, die alle in meine Richtung gingen. Ich habe die Waffe gezogen, bin dann über einen Staubsauger gestolpert und hingeknallt", erinnert sich der 30-Jährige an den Einsatz in Lübeck vor anderthalb Jahren. Er flieht in die Küche, klettert durch das Fenster nach draußen. Der Polizeihauptmeister bleibt unverletzt - doch der Einsatz, kurz vor seiner Hochzeit, hinterlässt Spuren, im Kopf bleiben Bilder: "Die Bilder sind das eine, aber dann kommen die Gedanken dazu: Was wäre, wenn es keine Schreckschusswaffe gewesen wäre? Was wäre, wenn ich geschossen hätte?"
Routineeinsätze eskalieren häufiger
Bogdan Martel arbeitet auf dem 2. Polizeirevier in Lübeck. Seit mehr als acht Jahren ist er Polizist. Der Respekt gegenüber der Polizei nehme ab. Oft würden er und seine Kollegen geduzt, Beschimpfungen wie "scheiß Bulle" gehörten zum Alltag. Gleichzeitig nehme die Gewalt zu. Das hat der erfahrene Polizist auch schon am eigenen Leib gespürt: Vor gut zwei Jahren endete ein Einsatz für ihn im Krankenhaus - eine Frau hatte ihm ein Messer ins Bein gerammt. "Die Einsätze sind jetzt unvorhersehbarer geworden. Es fängt mit ganz normalen Hilfeleistungen an und innerhalb von kurzer Zeit wandelt sich die Stimmung ins Negative."
1.421 Gewalt- und Widerstandshandlungen wurden 2021 laut Innenministerium in Schleswig-Holstein erfasst (diese Zahlen beinhalten auch Gewalt gegen Rettungsdienste), ein leichter Anstieg gegenüber der vergangenen Jahre. 2020 wurden 1.323, im Jahr davor 1.314 Angriffe registriert. Außerdem seien die Angriffe brutaler geworden, sagt die Gewerkschaft der Polizei. Die Zahl der verletzten Polizisten stieg von 396 (2019) auf 478 Fälle (2021).
Finanzieller Druck schürt möglicherweise Aggressivität gegenüber Polizisten
Besonders gefährlich werde es für Polizistinnen und Polizisten, wenn sie zu Streitigkeiten zwischen Partnern oder Familien gerufen würden, sagt Andreas Breitner vom Hilfs- und Unterstützungsfonds der Polizei. Der Fonds unterstützt Polizistinnen und Polizisten, die Opfer von Gewalt wurden. Breitner glaubt, dass solche Situationen in Zeiten teurer Energie und Lebensmittel weiter zunehmen werden. Solche Situationen seien oft emotional aufgeladen, da richte sich die Gewalt auch schnell gegen die Polizisten. Auch er findet: Es fehle an Respekt. "Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte, dass in den Uniformen Menschen stecken."
Hoffnung, dass Bodycams mehr Sicherheit bieten
Ann-Kristin Mundt ist seit einem Jahr Polizistin, auch sie arbeitet in Lübeck. Beschimpfungen und Übergriffe kennt sie ebenfalls gut. Sie wünscht sich einen verstärkten Einsatz von Bodycams - kleine Kameras, die Polizisten bei Einsätzen am Körper tragen. "Ich glaube, dass unser Gegenüber anders reagiert, wenn er weiß, wir schalten jetzt die Kamera ein. So würde es zu weniger Auseinandersetzungen kommen." Trotz des oft rauen Alltags will die 31-Jährige weiter machen, freut sich auf ihren Dienst. Besonders nach schlechten Erfahrungen versuche sie, von Null anzufangen, sich zu sagen: Heute ist ein neuer Tag, denn sie will nicht voreingenommen in den Einsatz gehen.