Kieler Woche: Der kreative Kopf hinter der Spiellinie
Seit 2014 ist Maike Wiechmann die künstlerische Leiterin der Spiellinie auf der Kieler Woche. Ein Jahr brauchen sie und ihr Team für die Planung und Vorbereitung.
Wenn Maike Wiechmann über die noch recht leere Krusenkoppel in Kiel geht, hat sie schon genau vor Augen, wie es hier in wenigen Tagen aussehen wird: Hier ein Lehmbad, dort die Bühne für den Vorleser und ganz oben auf der Wiese die Siebdruckwerkstatt. Sie weiß, welcher Workshop welches Material braucht, welche Mitarbeiter nur ein Jahr durchhalten werden und was Kinder zum Weinen bringt. Seit 2014 ist sie die künstlerische Leiterin der Spiellinie auf der Kieler Woche. Und mit jedem Wort, das Wiechmann zu Europas größtem Kinder-Kultur-Angebot unter freiem Himmel sagt, merkt man ihr an: Sie ist mit viel Herzblut dabei.
Die Fäden in der Hand halten
Ihre Aufgabe beschreibt die sympathische 58-Jährige mit der Arbeit einer Spinne, die ein großes Netz webt: Sie hält die Fäden in den Händen, führt sie an der richtigen Stelle zusammen und behält den Überblick über das große Ganze. "Wir fangen ganz klein an. Wir sind zwei Personen für die erste Planung, also eine technische Leitung und ich", erzählt Wiechmann. Bis zur letzten Juniwoche wächst das Team dann auf über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Und während dann große und kleine Kinder die Früchte der Arbeit von Maike Wiechmann genießen, macht sie schon Pläne für die nächste Runde. Immer am letzten Tag der Kieler Woche gibt sie das Thema für das nächste Jahr bekannt. Das heißt für sie: Während um sie herum buntes Chaos herrscht, läuft sie über die Wiese, ist gedanklich schon ein Jahr weiter und sammelt Ideen.
Blick auf das Gesamtkonzept
Zur Spiellinie ist die studierte Kunsthistorikerin über viele Schlenker gekommen. Über einen Honorarjob rutscht sie zunächst ins Kulturamt, arbeitet dort in der Museumspädagogik und betreut einige Jahre die Stadtbilderei. Seit 1994 ist sie dann nebenbei Teil eines Workshop-Teams auf der Spiellinie. Später beginnt sie der künstlerischen Leiterin zu assistieren. Dann 2014 übernimmt sie selbst die Leitung.
Sich selbst bringt sie dabei kreativ eher weniger ein, sondern behält den Blick auf das Gesamtkonzept. Wie beim Pingpong ist sie in ständigem Austausch mit den Teams. Auf die Frage nach der größten Herausforderung der künstlerischen Leitung nennt sie genau diesen Austausch. Sie müsse ein sehr, sehr großes, sehr vielfältiges Team unter einen Hut bringen. "Ah, da ist noch eine Lücke, könnt ihr nicht? Habt ihr nicht eine Idee und wollt ihr da nicht vielleicht noch mal das und das machen?" Sätze, die Wiechmann während der Planung öfter sagt. Wenn sie merkt, dass Ideen noch etwas einseitig sind, schickt sie Fotos oder Illustrationen aus Kinderbüchern, um neue In spiration zu geben. "Aber oft ist das gar nicht nötig", der größte Teil der Kreativität komme aus dem Team.
Kinder bevorzugen Beständigkeit
Meist setzen sie und ihr Team dabei auf bewährte Angebote wie den Holzbau-Workshop, die Bücherei oder die Schminkstation. Aber immer wieder gibt es auch neue Angebote zu entdecken. "Seit dem letzten Jahr haben wir einen Akrobatik-Workshop neu und wir haben die Kostümwerkstatt neu gemacht im letzten Jahr", erzählt Wiechmann. In diesem Jahr käme das Filzen neu dazu. "Ich bin schon gespannt, wie schnell die Filzwolle alle ist!", lacht Wiechmann. Sie ist sich sicher, dass das Angebot gut ankommen wird. Doch sie betont auch, dass die Kinder eher Beständigkeit vorziehen. "Wir haben ganz lange eine Nähwerkstatt gehabt. Dann wollte die Kollegin irgendwann nicht mehr und wir hatten echt Kinder, die Rotz und Wasser geheult haben auf der Wiese, weil es den Workshop nicht mehr gab", erinnert sie sich.
Vollendung liegt in Kinderhänden
Und die Kinder stehen auf der Spiellinie ganz klar im Fokus. Bei der Planung gehe es darum, das Gesamtkunstwerk zwar zu Ende zu denken, aber nicht zu Ende umzusetzen, sondern die Vollendung in die Kinderhände zu legen. Mitarbeiter, mit einem zu starken Drang sich selbst künstlerisch auszudrücken und Schwierigkeiten hätten, die Kinder machen zu lassen, würden maximal ein Jahr durchhalten, erzählt Wiechmann.
Es gehe ums Anstupsen und dann ausprobieren lassen. Oben auf der Wiese steht beispielsweise traditionell immer eine Farbwerkstatt. "Das ist eine Kollegin, die druckt und ich finde, dass sie total tolle Drucke macht, weil die Farbauswahl grandios ist." Sie stelle den Kindern zwar meist bestimmte Farben hin, doch wenn ein Kind etwas anders probieren möchte, ließe sie es machen. Und oft käme dann die Rückmeldung vom Kind: Die Farben, die du ausgesucht hat, sind doch cooler. "Und dann haben die Farbenlehre mitbekommen, ohne dass wir irgendwie sagen: 'Nee, die Farbe sollst du nehmen!'"
Die Kosten: 460.000 Euro
Dieses Ausprobieren lassen hat auch seinen Preis: Der Etat für die Spiellinie inklusive des musikalischen Angebots "gewaltig leise" beträgt knapp 460.000 Euro. Darin sind alle Honorare und das gesamte Material enthalten: 600 Konstruktionsbalken, 4.000 Latten Schalung, 10 Fichtenstämme, 30 Stangen Moniereisen, 500 Liter Farbe, 400 Bettlaken, 250 Tischdecken, 120 Malwände, 400 Klappen Stroh, 12 Tonnen Lehm, 1 Container Sand, 3 Anhänger Astschnitt, 8.000 Kreuzschlitzschrauben, 500 Kilogramm Nägel, 150.000 Tackernadeln, 100 Kisten Wasser, Rohre, Anhänger voll Schaumstoff, Makulaturpapierrollen, 4 Säcke Gardinen, 200 Pakete Stofffarbe, 500 Pinsel.
Zwar versuchen sie und ihr Team, viele Materialien zu recyceln, aber gerade bei Bauholz, müsse aus Sicherheitsgründen neues Holz genommen werden. In diesem Jahr sei da ganz besonders der Preisanstieg zu spüren gewesen. Die Bühne für den Vorleser beispielsweise wird deshalb drei Meter schmaler gebaut. Solche Entscheidungen zu fällen und an alle Workshop-Teams zu kommunizieren, ist auch Teil von Wiechmanns Aufgaben.
Ansprechen soll die Spiellinie dann zur Kieler Woche ein möglichst breites Kinderpublikum. "Inklusion thematisieren wir gar nicht so doll, weil wir immer sagen, für uns sind alle Kinder herzlich willkommen", sagt Wiechmann. Nur die Fläche am Hang sei beispielsweise für Kinder im Rolli eine Herausforderung. Doch Wiechmann betont: "Sie sollen alle so kommen, wie sie sind. Und so nehmen wir sie auch."
Ein Herzensprojekt
Ans Aufhören denkt die 58-Jährige noch lange nicht. "Ich weiß nicht, ob ich den Berg mit 60 noch schaffe, außer wir bauen eine Seilbahn", witzelt Wiechmann. Nur ungern denkt sie daran, die künstlerische Leitung der Spiellinie irgendwann abgeben zu müssen. "Ich habe keine Idee, was ich sonst machen möchte. Es war und ist ein Herzensprojekt."