Sendedatum: 26.10.2011 23:35 Uhr

Dreistes Netzwerk: Facebook gegen Datenschutz

Haben Sie heute schon etwas geposted? 800 Millionen Menschen sind mittlerweile bei Facebook. Selbst viele öffentlich rechtliche Redaktionen nutzen das soziale Netzwerk gerne als Plattform. Alle profitieren - vor allem natürlich Facebook selbst. Denn die Firma hortet privateste Daten und findet immer neue Wege, noch mehr zu bekommen. Einige wenige unbeugsame Datenschützer aus Norddeutschland leisten heftig Widerstand.

VIDEO: (5 Min)

Kräftemessen in Berlin. Der Kieler Datenschützer Thilo Weichert hat es geschafft: Der Internetriese Facebook soll sich im Bundestag erklären. Und Weichert macht Druck: "Nach unserer Überzeugung sind die Zustände, die wir derzeit bei social communities, insbesondere von US-Anbietern haben, rechtswidrig und auch nicht zu halten."

Es ist ein zähes Ringen um etliche Facebook-Funktionen, die für Datenschützer die Privatsphäre der Nutzer verletzen. Wie der "Gefällt mir-Button": Mit ihm werden in Facebook Empfehlungen ausgesprochen. Facebook kann gleichzeitig das Surfverhalten ausspähen - auch außerhalb des Netzwerkes und auch wenn man gar nicht Mitglied ist.

Facebook im Bundestag

In der Berliner Polit-Arena will der Datenschützer aus Schleswig-Holstein dazu nun klare Aussagen. Doch die Antworten von Richard Allan, dem Europa-Chef von Facebook, sind reine Rhetorik: "Haben wir genug getan um mit Ihnen zu interagieren? Nein, das haben wir in der Vergangenheit nicht getan. Bemühen wir uns jetzt? Ja, das tun wir, [...] Es ist immer wieder gut und erfrischend, wenn man hier auf gewisse Dinge hingewiesen wird."

Weiche Worte, statt fester Zusagen. Beschwichtigungen statt Fakten. Sascha Adamek, Autor des Buches "Die Facebook-Falle", sagt dazu: "Wir sollen glauben statt wissen - und das ist eigentlich eine der zentralen Strategien dieses weltweit agierenden Konzerns."

Frank Rieger, Chaos Computer Club: "Alles wird so im Ungefähren und Vagen gelassen und man möchte möglichst keine konkreten Verpflichtungen eingehen und keine konkreten Maßnahmen verkünden - in der Hoffnung eben, dass man es noch möglichst lange hinauszögern kann."

Biometrische Daten frei Haus

Auch der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar kennt diese Strategie von Facebook. Seit Jahren arbeitet er sich daran ab. Er sagt: "Es werden erst mal Fakten geschaffen durch tätig werden, durch Anbieten von Diensten, die dann in einem zweiten Schritt möglicherweise als nicht zulässig gelten, aber die dann nicht sofort eingestellt werden, sondern die erst mal weitergeführt werden."

Wie bei der Gesichtserkennung. Nutzer von Facebook sollen Fotos und Namen zusammenbringen. Wer dann einmal markiert ist, kann mit einer Erkennungssoftware automatisch auf Bildern im Internet gefunden werden. Facebook erhält so biometrische Daten frei Haus. Die Datenschutzbehörde Hamburg äußerte Bedenken, bat um Vorabinformationen. Doch stattdessen führte Facebook den Dienst auch in Deutschland einfach ein.

"Und das verärgert dann schon, wenn man sieht, wie wenig Bereitschaft man in diesem Bereich an den Tag legt, während man auf der anderen Seite die ganze Plattform mal kurz umstrickt", sagt Caspar, der Hamburger Datenschützer.

Datenschützer hinken hinterher

Erst kürzlich ist es wieder passiert. Facebook erfindet sich wieder neu, auf der Jagd nach noch mehr Daten. Marc Zuckerberg, der Gründer von Facebook, präsentiert eine Neuentwicklung: "Wir haben das gesamte Jahr daran gearbeitet und wir nennen es: Timeline."

Timeline soll zum zentralen Lebensarchiv werden: Alle Fotos, alle Einträge, alle Freunde - und das chronologisch gesammelt. Facebook will damit die Daten aus der Vergangenheit erschließen. Je mehr Daten, desto gezielter die Werbung und desto höher der Profit.

Der Internetgigant legt ein hohes Tempo vor. Die Datenschützer hinken hinterher. Frank Rieger, Chaos Computer Club, sagt: "Die deutschen Datenschützer arbeiten mit einem Gesetz, das aus der Großrechnerzeit stammt und schon mit vernetzten PCs überfordert war, und das mit dem Internet halt herzlich wenig zu tun hat."

Innenministerium in "Reflexionsphase"

Doch Initiativen für konkretere gesetzliche Regelungen von Datenschützern und Experten konnten sich bislang nicht durchsetzen. "Hier muss noch sehr, sehr viel mehr gemacht werden angesichts der vielen unklaren Fragen und Antworten, die derzeit gegeben werden", sagt Thilo Weichert. "Und hier muss der Gesetzgeber einfach sagen: Das ist erlaubt und das ist nicht erlaubt. Und davor versucht sich das Bundesinnenministerium im Moment zu drücken."

Das Bundesinnenministerium ist für den Datenschutz zuständig. Doch im Moment befindet es sich, wie es auf ZAPP-Anfrage heißt, in "Reflexionsphase".

Indes hat sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit Facebook-Manager Allan ausgetauscht - und danach erklärt: "Facebook ist bereit, sich einzubringen in eine Selbstverpflichtung, in einen Kodex, den wir gemeinsam ausarbeiten wollen."

Sascha Adamek: "Das ist natürlich im Grunde genommen ganz klar, dass der Bundesinnenminister hier den Datenschutzbehörden in den Rücken fällt, die ja wirklich versuchen, auf Basis von Recht und Gesetz zu handeln - und dagegen wird jetzt die Selbstverpflichtung gesetzt, also man geht auf Schmusekurs mit den großen US-Konzern."

Ein ungleicher Kampf

Schmusekurs statt harten Regelungen. Datenberge von Millionen von Nutzern. Davon könnte nicht nur Facebook profitieren.

Sascha Adame: "Polemisch könnte man jetzt sagen, das Innenministerium ist ja an Datenspeicherung seinerseits immer interessiert - siehe Vorratsdatenspeicherung. Und es ist vielleicht nicht so sensibel, wenn es darum geht, dass auch große private Konzerne Datensammlungen anlegen, von denen Geheimdienste nur träumen können."

Datenschützer gegen Facebook, es wird wohl weiter ein ungleicher Kampf bleiben.

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 26.10.2011 | 23:35 Uhr

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