Züge fallen aus: Bahnchaos auf Eiderstedt

Stand: 04.09.2023 20:11 Uhr

Fehlendes Personal und ein hoher Krankenstand sorgen für Zugausfälle auf der Strecke nach Eiderstedt. Die Bewohner der Halbinsel verlassen sich deshalb immer weniger auf die Bahn. Ab Mitte September wird die Strecke zwischen Husum und St. Peter-Ording für Bauarbeiten lange gesperrt.

von Jochen Dominicus

"Einfach und bequem nach Eiderstedt. Mit der Bahn direkt ans Ziel." Das verspricht die Webseite der Tourismus-Zentrale der Halbinsel Eiderstedt. Viele Urlauber und Einheimische machen seit einiger Zeit eine andere Erfahrung. Günther Bauer aus Garding (Kreis Nordfriesland) ist sauer. Er ist dringend auf die Regionalbahn RB64 angewiesen und muss derzeit regelmäßig zur ärztlichen Untersuchung nach Kiel fahren. 140 Kilometer hin, 140 Kilometer zurück sind für den 84-Jährigen aber nicht mehr mit dem Auto machbar und auf die Bahn, so sagt er, kann man sich hier auf Eiderstedt schon lange nicht mehr verlassen.

Defekte oder überfüllte Züge und Personalausfall

Schon oft hat er auf dem Bahnhof in Garding auf die Bahn gewartet, die dann aber nicht gekommen ist. Manchmal sind es defekte Züge, die ausfallen. Immer öfter aber sorgt Personalausfall für Probleme, so der Gardinger. Die Züge, die dann fahren, seien - gerade in der Urlaubszeit - völlig überfüllt. "Mit der Bahn kann Eiderstedt bequem und komfortabel erreicht werden. Die Züge fahren tagsüber stündlich zwischen Tönning und St. Peter-Ording (beide Kreis Nordfriesland) auf der eingleisigen Bahnstrecke", verspricht die Webseite der Tourismus-Zentrale.

Auch Touristen sind genervt

Doch auch Urlauberin Ingrid (die ihren Nachnamen nicht nennen möchte) hat andere Erfahrungen gemacht und sitzt ziemlich genervt mit ihrem Gepäck auf der Wartebank des kleinen Bahnhofs in Tating. Auch sie wartet auf die RB64. Sie muss von hier aus nach Husum (beide Kreis Nordfriesland). Der Zug heute früh um 8.41 Uhr ist dann allerdings auf die Minute pünktlich. Das sei aber die Ausnahme, so die Urlauberin, die eigentlich gerne nach St. Peter-Ording kommt und auch gerne das Auto zuhause in Süddeutschland lässt.

Das Auto ist wieder Alternative zur Bahn

... © NDR
Viele Bahnen fallen aus. Oft sind dann nachfolgende Züge oder Busse als Schienenersatzverkehr überfüllt.

Zwei Wochen Urlaub hat sie hinter sich. "Das hat schon mit der Anreise von Husum hierher angefangen. Dann hieß es, der Zug kommt nicht, es gibt Schienenersatzverkehr. Dann hieß es wieder, der Zug kommt doch. Dann doch rein in den Bus, der war aber völlig überfüllt, die Koffer flogen durch die Gegend." Auf St. Peter-Ording als Reiseziel will sie trotzdem nicht verzichten. Sie überlegt allerdings, in Zukunft wieder ins Auto zu steigen.

"Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen", Katrin Schulz (Urlauberin)

Die RB64 um 8.41 Uhr von Tating nach St. Peter-Ording nimmt auch Katrin Schulz aus Karlsruhe. Sie und ihr Mann sind mit vier Kindern auf Eiderstedt im Urlaub, kommen seit zehn Jahren hierher. Seit zwei Jahren allerdings fährt ihr Mann von Karlsruhe aus mit dem Auto hinterher. "Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen", sagt sie. Auf die Bahn können man sich seit zwei Jahren nicht mehr verlassen. "Vor Ort kann man mit dem Zug nicht fahren, weil man kommt dann in eine Richtung, aber zurück kommt man nicht mehr. Das ist eigentlich immer so", so die Urlauberin.

"Es ist alles eine maximale Katastrophe", Uwe Schwalm, Bahnkunde

Ein Anwohner ist wütend. © NDR
Anwohner Uwe Schwalm hört in seinem Haus die Durchsagen des Bahnhofs. Seiner Erfahrung nach fallen 50 Prozent der Züge aus.

Uwe Schwalm ist Musiker und ehemaliger stellvertretender Landrat im Kreis Nordfriesland. Er lebt in Tating in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, hört die Durchsagen des Lautsprechers sogar bei sich zuhause. Er ist richtig wütend. Immer wieder hört er, dass kurzfristig Personal ausfällt. In den letzten zwei Jahren häufe sich das, so Schwalm.

Anwohner: "Gefühlt fährt die Hälfte der Züge nicht"

Er glaubt, dass die Häfte der Züge nicht fährt. "Und das ist aus meiner Sicht mindestens so schlimm wie das, was dauernd in der Zeitung steht mit der Bahn nach Sylt. Das ist auch ein großes Problem." Der einzige Vorteil sei hier, dass Tating eine Halbinsel und keine Insel ist. "Wir können notfalls mit dem Auto noch weiter." Wer allerdings kein Auto hat, der habe ein Problem, so der Musiker.

Knapp die Hälfte der Züge fuhr im Juni

Verantwortlich für den Zugverkehr auf der Strecke ist noch bis Ende des Jahres die Deutsche Bahn. Und ein Blick auf die Zahlen der vergangenen Monate zeigt den Zustand. Der Juni war laut NAH.SH sehr schlecht, dort sind nur 55,6 Prozent der Züge gefahren, 44,4 Prozent wurden durch Busse ersetzt. Im Juli sah es mit rund 75 Prozent und im August mit rund 77 Prozent der Züge, die gefahren sind, etwas besser aus.

NAH.SH räumt die personellen Engpässe ein. "Es ist tatsächlich ärgerlich, dass zwischen Husum und St. Peter so viele Züge ausfallen, aber das liegt an fehlendem Personal. Es fehlen im Moment die Mitarbeitenden, die die Züge fahren können."

Zu wenig Lokführer und Triebwagenführer

Es gebe bundesweit und auch auf der Strecke der RB64 schlicht nicht genug Lokführer und Triebwagenführer, zudem kämen Ausfälle durch Krankheit dazu, heißt es. Einen aktuell hohen Krankenstand bestätigt auch eine Sprecherin der Deutschen Bahn, die aber auf den Busersatzverkehr in der Region hinweist. Denn ausfallende Verbindungen werden stets mit Bussen kompensiert, so die Bahn.

Dabei werden bei Busunternehmen Busse, Fahrerinnen und Fahrer kurzfristig angefragt und eingesetzt. Dieser Prozess von der Bestellung bis zur Bereitstellung kann bis zu 60 Minuten dauern. Auch bei einer guten Organisation muss sich ein Ersatzverkehr dann erst einmal einpendeln.

Ein Bautrupp der Deutschen Bahn repariert Gleise. © picture alliance/dpa Foto: Roland Weihrauch
AUDIO: Bahnexperte: Müssen das Netz auf einen Fahrplan hin ausbauen (7 Min)

Keine Routine beim Schienenersatzverkehr

Das allerdings dauere bereits so lange an, kritisiert Frauke Schlesener die Situation. Sie wohnt ebenfalls in Tating und ist täglich auf die Bahn angewiesen, weil sie kein Auto hat. Sie fühlt sich im Stich gelassen. Zum Beispiel Arzt- und Therapietermine pünktlich wahrzunehmen, sei kaum möglich, sagt sie.

Unterschriftenaktion ohne Erfolg

Dreimal muss sie pro Woche dorthin und ist schier verzweifelt. So sehr, dass sie schon im letzten Jahr eine Unterschriftenaktion in Tating durchgeführt hat. Rund 160 Unterschriften für mehr Verlässlichkeit kamen zusammen, die sie der Bahn geschickt hat. Geändert habe sich seitdem aber nichts, sagt sie. Die Hoffnungen für viele in der Region liegen auf dem auslaufenden Vertrag mit DB Regio. Anfang des kommenden Jahres wird auf der Strecke Husum - St. Peter-Ording - Husum die Nordbahn übernehmen.

Hoffnungsschimmer: Neuer Anbieter auf der Bahnstrecke

Derzeit laufen Gespräche, ob die Nordbahn nicht noch in diesem Jahr die DB Regio unterstützen kann, so Dennis Fiedler von NAH.SH. Doch bevor es Entlastung geben könnte, wird die Strecke ab dem 16. September wegen Bauarbeiten bis zum 9. Dezember erst einmal komplett gesperrt. Dann müssen die Menschen auf Eiderstedt zwischen Husum und St. Peter-Ording den Ersatzverkehr mit Bussen nutzen.

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Nachrichten für Schleswig-Holstein | 04.09.2023 | 19:30 Uhr

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