Zeitreise: 75 Jahre Seefischmarkt
1948 hat in Kiel der Seefischmarkt eröffnet, der sich rasch zu einem der größten seiner Art in Deutschland entwickelte. Sogar eine eigene Hochseeflotte hatte hier ihren Liegeplatz.
Konrad Fischer ist genauso alt, wie der Seefischmarkt und mit ihm ist er erwachsen geworden. Sein Vater war einer der geflüchteten Fischer aus dem ostpreußischen Pillau und hatte sein neues Zuhause in Mönkeberg am Ufer der Kieler Förde gefunden. Schon früh fing Konrad Fischer an, auf den Fischkuttern mitzuarbeiten. Die Fahrt morgens mit dem Schiff zum Seefischmarkt gehörte dabei zur Routine. Oft waren sie bereits um vier Uhr Morgens da, denn um 6 Uhr begann die Auktion, da musste schon alles angelandet sein, um präsentiert zu werden, sagt Fischer.
Oft aber kamen die Händler bereits an die Schiffe, um ein paar Kisten von Fisch, der besonders lecker aussah, zu kaufen. Er erinnert sich vor allem auch an vielen Frauen, die als "Fischweiber" auf dem Wochenmarkt frischen Fisch verkauften. "Wenn der Dorsch noch zappelte", erzählt Konrad Fischer, "dann gab es gleich mehr Geld. Wenn der Kunde meinte, die bewegen sich doch gar nicht, traten die Frauen gegen die Kiste, dann zappelten sie noch etwas und dann gab es Geld dazu."
Die Menschen mussten ernährt werden
Dass es dem Seefischmarkt am Ostufer gab, war eine Entscheidung, die direkt nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen wurde. Kiel war stark zerstört, viele Flüchtlinge kamen aus den deutschen Ostgebieten in die Stadt. Sie alle wollten ernährt werden und zugleich mussten die Menschen Arbeit finden. Für beides planten die Verantwortlichen einen großen Seefischmarkt, der weit über die Kapazitäten von vor dem Krieg hinausgehen sollte. Die britische Besatzungsmacht gab Gebäude einer Torpedofabrik frei, die nahezu unversehrt den Krieg überstanden hatte.
Mit 400 Meter Kailänge war das Gebiet direkt an der Schwentinemündung geradezu ideal für die Zukunft einer prosperierenden Fischindustrie. Zusätzlich sollten in Kiel nicht nur die Fischkutter anlanden, sondern eine eigene Hochseeflotte aus Fischdampfern anlegen und ihren Fisch verkaufen.
Hochseedampfer und Eisfabrik, Fisch und Konserven
Am 27. September 1948 nahm der neue Seefischmarkt in Kiel seinen Betrieb auf. Bereits im ersten Jahr verfünffachte sich die Anlandung von Fisch, verglichen mit der Menge vor dem Krieg. Die größte Anzahl an Fisch wurde 1956 angelandet, 43.000 Tonnen Rotbarsch, Kabeljau, Aale, Schollen und viele andere Fischarten. Vor dem Krieg waren es lediglich 1.500 Tonnen.
Der Seefischmarkt wurde einer der größten Arbeitgeber Kiels. Es gehörte ja nicht nur der Fischfang mit seinen Kuttern und Hochseedampfern dazu. Auf dem Gelände war eine Kistenfabrik und ein Eiswerk, dazu kamen die vielen Betriebe, in denen der Fisch verarbeitet wurde, wie Räuchereien und Fischkonservenunternehmen. Verarbeiteter Fisch wurde bis Afrika und Amerika verkauft.
Meeresforschung und maritime Technologien
Anfang der 1970er Jahre gab es eine Krise in der deutschen Fischwirtschaft. Die Menschen wollten lieber Fleisch als Fisch essen. 1971 wurde die Kieler Hochseeflotte nach Cuxhaven verlegt. Die Anlandung von frischem Fisch sank dramatisch. Menschen wurden nach und nach entlassen, Betriebe machten dicht.
Aber auch heute noch wird auf dem Kieler Seefischmarkt mit Fisch gehandelt. Es bleibt ein wichtiger Bestandteil der Versorgung Schleswig-Holsteins mit Lebensmitteln. Aber dazu sind andere Unternehmen gekommen, vor allem aus der maritimen und marinen Technik, viele zukunftsorientierte Start-Ups haben hier ihren Platz gefunden.
Tschüss "alter Seefischmarkt"
Konrad Fischer denkt auch heute noch gern an die Zeit des "alten Seefischmarktes" zurück, "da war Leben in der Stadt", erzählt er. Die Matrosen gaben ihr ganzes Geld in den Kneipen aus und allein auf dem Wochenmarkt gab es Dutzende von Fischständen mit frischen Fisch. Heute ist das alles vorbei. Die Seelords und die "Fischweiber" sind Geschichte, meint er wehmütig.