Wie Schüler zu Jägern von Fake-News werden
von Thilo Buchholz
Große Augen, hochgezogene Stirn, zusammengepresste Lippen. Mucksmäuschenstill ist es in der Stadtbücherei Neumünster. Die Referentin hat die volle Aufmerksamkeit der Schüler. "Wir jagen digitale Lügner, Hetzer und Manipulierer", sagt sie und blickt in 13 gespannte Gesichter. Den einzigen Lärm macht momentan ein kleiner Lüfter in einem Beamer. Der Projektor wirft ein Bild an die Wand mit der Überschrift "Fake News erkennen". Angelika Rust, Mitarbeiterin der Stadtbücherei Neumünster, will aufklären und die Jugendlichen im Umgang mit falschen Nachrichten, den Fake-News, sensibilisieren.
Vermeintliche Fakten nie hinterfragt
Viele der 15- bis 17-Jährigen haben bereits selbst Erfahrungen mit falschen Informationen gemacht. Sarah Mittelbach ist eine von ihnen. Sie geht in die 10. Klasse. Sarah hat zum Thema Studenten-Bafög recherchiert und vermeintliche Fakten aus dem Internet in ihre Hausarbeit übernommen, ohne sie zu hinterfragen. "Der Lehrer hat mich dann auf Fehler aufmerksam gemacht", sagt die Schülerin der Freiherr-vom-Stein-Gemeinschaftsschule in Neumünster. Fast täglich sind Sarah und ihre Mitschüler bei Facebook und Co. Ob in den sozialen Netzwerken oder auf anderen Plattformen immer alles stimmt? Oft ist es nicht leicht zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, stellen die Schüler nachdenklich fest.
Jugendliche durch Falschmeldungen im Netz verunsichert
Hier setzt das landesweite Projekt Fake-Hunter an, das im November vergangenen Jahres gestartet ist. "Mit dem Planspiel wollen Bibliotheken im Land den Schulen ab Klasse 8 bei der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz unterstützen", sagt die Projektleiterin Kathrin Reckling-Freitag. Kinder und Jugendliche seien durch bewusst gestreute Falschmeldungen im Netz besonders verunsichert. Das Bildungsministerium, die Büchereizentrale Schleswig-Holstein und die Aktion Kinder- und Jugendschutz unterstützen das Projekt.
Schüler lernen, Schwindel-Nachrichten zu entlarven
Nach einer kurzen Einführung teilen sich die Jugendlichen in Teams auf, jeweils bestückt mit einem Tablet-Computer - und mit einem Mal ist es nicht mehr still. Die Schüler diskutieren. Sie reden über Online-Meldungen, die sie in einem fiktiven Nachrichtenportal lesen. Das Portal haben Andreas Langer von Aktion Kinder- und Jugendschutz und die Projektleiterin Kathrin Reckling-Freitag von der Büchereizentrale Schleswig-Holstein entwickelt. Studenten aus Hamburg haben mitgeholfen die geschützte Internetseite mit Nachrichten zu füllen. Mehr als 30 Stück aus allen möglichen Bereichen, wie Sport, Gesellschaft oder Wirtschaft, sind in dem Online-Portal hinterlegt. Mithilfe von Prüfwerkzeugen sollen die Jugendlichen Nachrichten verifizieren oder als Schwindel entlarven.
Lügen und Falschmeldungen: Das macht nachdenklich
Die Überschriften der Artikel lauten "PETA will Pokemon Go verbieten!", "Mehr Bildschirmzeit macht Kinder schlauer!" oder "Studie belegt: Zucker ist ein Heilmittel".
Fünf Hilfsmittel haben die Schüler an die Hand bekommen: Sie prüfen die Quellen, also das Netzwerk oder die Website, nehmen Verfasser oder Impressum unter die Lupe, checken Zeitangaben und Bilder, unterscheiden zwischen Satire, Meinung oder Scherz. Sie halten jetzt einen Moment inne, hinterfragen die Texte. "Man sieht Bilder oder liest Artikel und denkt: Okay, das wird wohl stimmen. Und dann ist es aber ganz klar ein Fake. Das hat mich schon nachdenklich gemacht", sagt eine Neuntklässlerin.
Fake-Hunter: Vorbild für weitere Bibliotheken?
In Schleswig-Holstein machen aktuell fast 40 der etwa 150 Büchereien bei Fake-Hunter mit. Bibliothekare lassen sich schulen, können dann die Seminare für Schüler geben. Das Projekt ist auf zwei Termine in den teilnehmenden Büchereien angelegt. Zwischen beiden Terminen sollen Schüler etwa drei bis vier Wochen selbstständig in der Schule oder zu Hause auf der fiktiven Internetplattform nach Fake-News suchen.
Das Projekt aus Schleswig-Holstein habe Vorbildfunktion. "Bibliotheken aus anderen Bundesländern fragen bereits nach dem Konzept", erzählt Reckling-Freitag. Sogar aus der Schweiz und Frankreich hätten sich Büchereien gemeldet, die an dem Projekt Fake-Hunter interessiert sind. Bis die Anfragen allerdings beantwortet werden können, kann es noch dauern. Erstmal sollen die restlichen Bibliotheken in Schleswig-Holstein mit Materialien ausgestattet werden.
Schüler sind jetzt Fake-Jäger
Die 13 Schüler der Freiherr-vom-Stein-Schule haben nach dem Seminar eine Urkunde bekommen. Damit sind sie jetzt offiziell Fake-Jäger. Denn Ziel des Projekts ist es auch, dass die frisch ausgebildeten Detektive dranbleiben und ihr Wissen weitergeben. Dafür bekommen Schulen Bücherboxen mit entsprechender Literatur. So will die Projektleiterin Reckling-Freitag verhindern, dass Schüler das Gelernte wieder vergessen und das Projekt nur eine einmalige Sache war. Die Schüler fühlen sich jetzt jedenfalls gut gewappnet gegen Falschinformationen. "Ich will mich mehr mit falschen Meldungen beschäftigen und andere Schüler darüber informieren", berichtet Sarah Mittelbach begeistert.