"Fake News"-Checker in Deutschland
Notleidende Flüchtlinge, die ihre Möbel wegschmeißen, weil sie ihnen nicht gefallen oder das eine neue Allheilmittel für alle Krebsarten: Unter anderem mit solchen schier unglaublichen, aber im Netz weit verbreiteten und mitunter für das eigene Weltbild missbrauchten Geschichten beschäftigt sich in München die neue Arbeitsgruppe "BR Verifikation". Der Bayerische Rundfunk hat zunächst für vier Wochen Journalisten unterschiedlichster Redaktionen zusammengezogen. In einem "Bootcamp" - Hipsterdeutsch für Arbeitsgruppe - loten sie aus, wie der BR im Jahr der Bundestagswahl und ein Jahr vor der Landtagswahl mit "Fake News" umgehen sollte.
Aufgabe von Journalisten, Fakes zu entlarven
"Wir haben alle 'Fake News' im amerikanischen Wahlkampf beobachtet", sagt Redakteur Stefan Primbs. Die Entwicklungen in den USA sei Motivation, sich die Inhalte in sozialen Netzwerken auch hierzulande anzusehen: "Auch bei uns kommen Player auf den Markt, die zum Teil kommerzielle, zum Teil aber auch politische Interessen haben." Zusätzlich säßen ihm und seinen Kollegen noch der Schrecken des Münchner Amoklaufs in den Knochen. Damals haben manipulierte Bilder und falsche Informationen, die via Twitter und Facebook verbreitet wurden, die Panik angeheizt - Verletzungen bei unnötigen Fluchtversuchen inklusive. "Es ist Aufgabe von Journalisten, den Leuten zu sagen: Das stimmt und das nicht", sagt Primbs. "Das treibt mich persönlich an."
"Fake News" in geschlossenen Gruppen bleiben verborgen
Zusammen mit seinen Kollegen testet er Programme, die Journalisten zeigen, welche Geschichten in sozialen Netzwerken kursieren und vor allem, welche Themen besonders intensiv diskutiert werden. Primbs erste Erkenntnis: "Klassische 'Fake News', also völlig frei erfundene Geschichten, haben wir in unserem politisch relevanten Bereich gar nicht entdeckt, sondern Geschichten mit einem wahren Kern, der sehr stark aufgebauscht wurde." Gleichzeitig stoßen die "Fake News"-Fahnder aber auch an allerlei Grenzen: Diskussionen in geschlossenen Gruppen bleiben ihnen ebenso verborgen wie herumgereichte Links in WhatsApp. "Im Grunde sehen wir nur die Spitze des Eisbergs", sagt Primbs. "Wir hoffen aber, dass uns die Spitze des Eisbergs auch etwas über den Eisberg an sich verrät."
Sprachbarriere muss noch überwunden werden
Außerdem reicht Technik allein oft gar nicht aus, um in Filterblasen vorzudringen. Wer gezielte Botschaften und Gerüchte identifizieren möchte, um sie einem Faktencheck zu unterziehen, braucht mitunter auch Sprachkenntnisse. "Hier haben wir noch einen blinden Fleck", sagt Primbs und benennt dabei "die türkischsprachige, die russischsprachige, auch die arabischsprachige Community in Deutschland, die nicht klein ist". Wenn aus dem Labor- ein Regelbetrieb wird, heißt es also: nachbessern!
BR24 entwickelt Faktendatenbank "Fact Fox"
Während Primbs mit seinen Kollegen am richtigen Modell arbeitet und Ausschau hält nach wirklich krassen 'Fake News", arbeitet Gudrun Riedl am Newsdesk von BR24 an einem weiteren Baustein im Kampf gegen Gerüchte. Riedl entwickelt die Fakten-Datenbank "Fact Fox". Mit diesem Programm sollen Social-Media-Redakteure die oft mit Verschwörungstheorien belasteten Diskussionen im Netz quasi mit Fakten fluten können: Kontert ein Redakteur eine Verschwörung oder Falschaussage, dann kann er die Antwort als Textbaustein in "Fact Fox" speichern, damit er und vor allem auch andere bei weiteren Diskussionen darauf zurückgreifen können. "Fact Fox" durchsucht auch die Datenbank nach passenden Antworten, wenn ein Redakteur einen Kommentar markiert, hinter dem er eine "Fake News" oder schlicht auch Unwissenheit vermutet. Letztlich reicht dann ein Mausklick, um die recherchierten Fakten als Kommentar der Redaktion etwa in eine laufende Facebook-Diskussion zu stellen.
"Wir Journalisten setzen nicht mehr wirklich die Themen"
Riedl glaubt daran, dass ausführliche Geschichten, wie sie Journalisten seit Jahrzehnten veröffentlichen, immer seltener das Publikum erreichen und damit auch die Ergebnisse journalistischer Recherchen. "Wir Journalisten setzen nicht mehr wirklich die Themen", sagt Riedl und erinnert sich an die jüngste Diskussion um die "Blaue Plakette" für das Diesel-Verbot in Großstädten. "Wenn wir so etwas posten, schlägt die Diskussion auf Facebook eine völlig andere Richtung ein." Es sei eine "notwendige Weiterentwicklung des Journalismus", dass sie und ihre Kollegen dann eben auch in den Kommentaren präsent sein, in denen in diesem Fall etwa behauptet worden sei, Mineralölkonzerne würden Diesel doch selbst verbannen, weil sie mit Benzin mehr Geld verdienten - leicht zu widerlegen, denn bei Benzin verdient im Gegenteil vor allem der Staat über Steuer.
"Das ist doch unsere eigentliche Aufgabe als Journalisten: über Fakten diskutieren", sagt Riedl. "Ich wüsste nicht, was wertvoller wäre."