Dilemma: Wie berichten Journalisten vom Terror?
Für den Journalisten Christian Jakubetz war der 22. Juli 2016 eine ganz besondere Herausforderung: Das Münchner Olympia-Einkaufzentrum, vor dem an diesem Freitagnachmittag ein Amokläufer um sich schießt,, ist auch sein Einkaufszentrum. Jakubetz berichtet über das Geschehen in seinem Viertel - telefonisch zugeschaltet auf BBC World und Deutsche Welle TV. Nun, mit ein paar Tagen Abstand, sagt er offen: An diesem Abend seien viele Journalisten bisweilen überfordert gewesen, auch er selbst.
"Solche Dinge nehmen einen ja auch emotional mit", sagt Jakubetz im Interview mit ZAPP. In dieser krassen Situation seien vor allem Journalisten vor Ort "keine Nachrichtenmaschinen". Im Gegenteil: An diesem Tag hätten Journalisten auch Fehler gemacht.
Viele Gerüchte wurden verbreitet
Tatsächlich haben viele aus ersten Reflexen auch Gerüchte ungefiltert verbreitet, die sich am Ende als falsch herausstellten, teilweise sogar die Polizei. Jakubetz erinnert sich etwa an eine Meldung, wonach gleich mehrere Täter in der Stadt unterwegs gewesen seien. "Es gab unter anderem deswegen Panik in der Stadt", sagt Jakubetz und übt Selbstkritik: "Aus heutiger Sicht wäre es Aufgabe von mir und vielen anderen Kollegen gewesen, eindeutig zu sagen: Wir haben Gerüchte, aber wir können sie absolut nicht bestätigen, weil niemand diese drei Täter jemals gesehen hat."
Sogwirkung durch Video befürchtet
Bald zwei Wochen nach dem Münchner Amoklauf reflektieren auch Redaktionen darüber, wie sie gearbeitet haben, was sich dabei bewährt hat und was sie in ähnlichen Lagen künftig besser machen können. Gudrun Riedl vom Bayerischen Rundfunk (BR) ist nicht zuletzt ein Video in Erinnerung geblieben: Menschen, die fluchtartig das Hofbräuhaus verlassen, dabei teilweise aus Fenstern kletterten - weil sich das Gerücht verbreitet hat, ein Täter sei auf dem Weg zu ihnen.
"Als da Menschen in heller Panik aus dem Fenster sprangen und rannten, hatten wir die Befürchtung, dass das eine Sogwirkung haben könnte", berichtet Riedl aus ihrem Team des digitalen Nachrichtenangebots BR24. "Da wollten wir wirklich vorsichtiger sein." Konkret heißt das: Die Journalisten haben zwar unmittelbar in kurzen Textnachrichten über das - letztlich falsche - Gerücht informiert, aber das Video eines Augenzeugen wurde zunächst nicht verbreitet. Es wurde gezielt zurückgehalten, bis sich die Lage entspannt hatte. Die Journalisten wollten die Panik nicht weiter anheizen.
Was veröffentlicht man über den Amok-Schützen?
Viele Redaktionen in Deutschland diskutieren außerdem darüber, wie viel sie eigentlich von Tätern wie dem Münchner Amok-Schützen zeigen und wie viele Details sie aus seinem Leben erzählen sollten. Der BR hat laut Riedl entschieden, ihn zu verpixeln, "weil uns viele Konfliktforscher und Psychologen dazu raten". Die Sorge dieser Experten: Wenn Medien Tätern eine zu große Bühne bieten, könnte das manch einen zur Nachahmung animieren. "Dabei wollen wir nicht behilflich sein", sagt Riedl.
Andere Redaktionen haben sich dafür entschieden, den Münchner Täter zu zeigen, etwa das ZDF. Der stellvertretende Chefredakteur Elmar Theveßen kennt die Bedenken, steht aber zu der Entscheidung seiner Redaktion. "Wir bilden die Wirklichkeit ab", sagt er im Gespräch mit ZAPP. Fakten und Bilder würden sich "sowieso" über soziale Medien verbreiten. Theveßen warnt deshalb: "Wenn wir über etwas nicht berichten, wenn wir etwas verschweigen, dann kommen wir sofort in eine Glaubwürdigkeitsfrage hinein."