Von Schleswig-Holstein nach Berlin: Die Reise in den Bundestag
Zwei junge Abgeordnete Anfang 30 machen sich auf den Weg in ein neues Leben: Sie kommen aus unterschiedlichen Parteien – doch im Bundestag müssen sie zusammenarbeiten. Und bald vielleicht sogar in einer Koalition.
Mit einem schrillen Klingeln schallt die markante Klingel durch den deutschen Bundestag. Auch, als sie bereits zum dritten Mal hörbar ist, strömen noch Abgeordnete aus dem Plenarsaal Richtung Wahlkabinen. Die neue Bundestagspräsidentin wird gewählt. Mit dabei sind Truels Reichardt (SPD) und Daniel Kölbl (CDU). Zwei der neuen Bundestagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein. Beide haben Erfahrung in der Kommunalpolitik. Jetzt mischen sie auf Bundesebene politisch mit. Wie ist es, wenn man einer von 630 Abgeordneten im Deutschen Bundestag ist?
Politische Ziele für Schleswig-Holstein
In der Hauptstadt will sich Daniel Kölbl für bessere Verkehrsverbindungen in Schleswig-Holstein einsetzen, darunter den Ausbau der Autobahn A23 oder das dritte und vierte Gleis zwischen Elmshorn und Hamburg. Verkehrsprojekte sind auch für Reichardt bedeutsam, zum Beispiel die Zweigleisigkeit der Marschbahn, die Elmshorn im Süden und Sylt im Norden verbindet. Er betont: "Wenn wir die Finanzierung für die Zweigleisigkeit der Marschbahn zum Beispiel hinkriegen. Das wäre ein Punkt, der mir an der Westküste total wichtig ist." Darüber hinaus will Reichardt sich für die kommunalen Kliniken an der Westküste einsetzen, zum Beispiel durch Erhöhung der öffentlichen Finanzierung.
Mit Schülern im Gespräch
Nur wenige Tage vor der ersten Sitzung im Bundestag: ein Freitagmorgen in der Erich Kästner Gemeinschaftsschule in Elmshorn. Daniel Kölbl sitzt vor einer Gruppe Schülerinnen und Schüler und beantwortet ihre Fragen. Es geht um die Rolle von Social Media in der Demokratie und die Gefahr von Fake News. Für die Jugendlichen eine besondere Gelegenheit, mit einem frisch gewählten Bundestagsabgeordneten ins Gespräch zu kommen. Kölbl erzählt, er habe sich schon als Schüler sehr für Politik interessiert: "Ich war damals im Wipo Profil - also Wirtschafts- und Politik-Profil - und dort fing es an, dass ich mich intensiver mit Politik auseinandergesetzt habe und dann auch recht früh den Entschluss getroffen habe, mich selbst politisch zu engagieren. Auch noch zu Schulzeiten." Zum Abschied lädt Kölbl einige der Schüler nach Berlin ein.
Eben noch Kreistag jetzt Bundestag
Etwas weiter nördlich sitzt Truels Reichardt im nordfriesischen Kreistag in Husum. Auch hier sitzen Schülerinnen und Schüler und erleben politische Arbeit hautnah. Als Kommunalpolitiker der SPD diskutiert er heute zur Finanzierung der Häfen, die für die Inseln und Küstenregionen Nordfrieslands von großer Bedeutung sind. Außerdem hält er eine Rede zur Gründung einer Erschließungsgesellschaft für Gewerbeflächen. Ziel ist die Ansiedlung neuer Unternehmen und die Erhaltung der Infrastruktur. Als ein Vorschlag der AfD im Kreistag eingebracht wird, reagiert er emotional. "Das war mal wieder der beste Beweis, dass die Vertreterinnen und Vertreter der AfD entweder gar nicht in den Ausschüssen dabei sind oder wenn überhaupt dann nur körperlich." Auch in Berlin wird der SPD-Politiker künftig auf Vertreter der AfD treffen.
Neue Herausforderungen in Berlin
Für CDU-Bundestagsneuling Kölbl warten in Berlin ebenfalls neue Herausforderungen. Als Direktkandidat gewann Kölbl gegen Ralf Stegner und nahm damit der SPD den Wahlkreis ab. In der Hauptstadt will er sich für eine klare Regelung zum Umgang mit dem neu beschlossenen Schuldenpaket einsetzen: "Als Vertreter der jungen Generation sehe ich natürlich schon die Herausforderung, dass das irgendwann auch zurückgezahlt werden muss und dass das auch nicht allein zu Lasten nachfolgender Generationen geht." Daniel Kölbl lässt eine Karriere in der Finanzwelt hinter sich - zumindest vorerst. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und einem Dualen Studium in Business Administration sowie Global Management und Governance arbeitete er zuletzt bei der IKB Deutsche Industriebank AG als Firmenbetreuer. Eine Rückkehr in diesen Beruf kann er sich vorstellen.
Sonderurlaub aus besonderen Gründen
Auch SPD-Mann Reichardt will seinem bisherigen Beruf nicht endgültig Lebewohl sagen, als er vor seiner ersten Sitzung in Berlin seine bisherige Arbeitsstelle besucht. Zuletzt arbeitete er als Sozialpädagoge der Husumer Horizonte mit Menschen mit Behinderung. Bei strahlendem Sonnenschein betritt er zielstrebig die Einrichtung - den Antrag auf Sonderurlaub in der Hand. Als neu gewählter Bundestagsabgeordneter kann er seinen bisherigen Job nicht weiter ausüben. Doch der Abschied ist nicht endgültig: Der Einrichtung will er erhalten bleiben. Eine Bewohnerin trifft ihn vor der Tür. "Du bist bald in Berlin habe ich gehört - wie schade", sagt sie ihm. "Ja, aber ich komm immer mal wieder vorbei", verspricht Reichardt.
Mit der Bahn in ein neues Leben – Ankunft in Berlin

Mit dem ICE geht es für Daniel Kölbl und Truels Reichardt nach Berlin – eine Fahrt von über zwei Stunden. Als frisch gewählte Abgeordnete haben sie auch Privilegien, beispielsweise eine Bahncard 100 - 1. Klasse. Eine praktische Erleichterung, denn die Strecke zwischen Schleswig-Holstein und der Hauptstadt werden sie in den nächsten Jahren oft zurücklegen. In Berlin angekommen beginnt die Arbeit im Abgeordnetenbüro. Das wird jedem MdB zur Verfügung gestellt. Viel Post wartet schon auf die Jungpolitiker. Für viele Interessenvertreter ist die Gunst der neuen Abgeordneten offenbar wertvoll. Der deutsche Bauernverband, die Arbeiterwohlfahrt, Verband der Automobilindustrie, Bundesverband der Tabakwirtschaft - viele Organisationen melden sich mit Einladungen, Glückwünschen und Anschreiben. Der letzte Brief – wenig überraschend - vom deutschen Bundestag. Viel Zeit für Post bleibt nicht.
Der große Moment: Die konstituierende Sitzung
Für die beiden Bundestags-Neulinge steht ihre erste große Abstimmung an. Die Abgeordneten wählen eine Bundestagspräsidentin oder einen -präsidenten und geben sich eine Geschäftsordnung – ein wichtiger Schritt, um sich als neues Parlament zu legitimieren. Das Medieninteresse ist enorm: Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten warten auf die Abgeordneten, die gerade frisch abgestimmt haben. Zwischen den vorbeilaufenden Abgeordneten stehen Truels Reichardt und Daniel Kölbl beieinander und reden über die nächsten Jahre. Bisher kennen Sie sich noch nicht, sagen die beiden, während sie sich nur wenige Meter vor dem Plenarsaal die Hand geben. "Viel Freude und viel Erfolg für unser Land", wünscht Kölbl. "Ja, das auf jeden Fall und ein bisschen Spaß bei der Sache ist, glaube ich, auch gut." Nach dem kurzen Gespräch geht es direkt wieder zurück in den Plenarsaal. Die nächste Abstimmung wartet bereits.
