Umstrittene Praxis: LKA in SH hat DNA-Proben mit BKA abgeglichen
Ermittler in Schleswig-Holstein haben über Jahre hundertfach DNA-Proben nach einem bestimmten Vorgehen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) abgeglichen. Das hat das Landeskriminalamt bestätigt. Doch die Praxis ist umstritten. Der Sachverhalt beschäftigte Mittwoch den Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig.
Für die obersten deutschen Richter ging es zunächst um etwa ein Kilogramm Kokain in einer Kieler Gartenlaube, einen freigesprochenen Angeklagten und um den Einsatz eines mächtigen Werkzeuges in der Strafverfolgung: den Abgleich von DNA-Spuren von Verdächtigen mit der DNA-Analyse-Datei (DAD) des Bundeskriminalamtes. Dieser Abgleich ist nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt: Wenn es sich um eine gravierende Straftat handelt und wenn zu erwarten ist, dass die Person auch in Zukunft weitere schwere Straftaten begehen wird.
Bundesgerichtshof hebt Freispruch auf
Das Landeskriminalamt in Schleswig-Holstein soll diese sogenannten "Einmalabgleiche" gemacht haben, ohne dass die rechtlich hohen Hürden dafür erfüllt waren. Das hat das Landgericht Kiel bemängelt. Einen Freispruch gegen den wegen Drogenhandel angeklagten Verdächtigen hat der BGH nun aufgehoben. Das Landgericht Kiel wird den Fall nun neu verhandeln. Ob die Richter in Leipzig sich bei der Gelegenheit auch zu der Praxis des "Einmalabgleiches" geäußert haben, war zunächst nicht zu erfahren. Vom Bundesgerichtshof hieß es: "Zu den Gründen für diese Entscheidung können wir Ihnen keine Angaben machen, da die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen."
Vorgehensweise bei Verhandlung zu Kokain in Kiel aufgefallen
Den Stein ins Rollen brachten Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen Drogendealer. Das war Ende 2021. In einer Kieler Gartenlaube entdeckten die Beamten eine größere Menge Kokain. DNA-Proben des Verdächtigen glich die Polizei mit der Analyse-Datei des BKA ab und erhielt einen Treffer. Es gab eine bislang unbekannte Spur in einem anderen Fall, die mit dem sogenannten genetischen Fingerabdruck des Mannes übereinstimmte. Auch in diesem Fall ging es um Drogenhandel. Im März 2023 wurde der Angeklagte freigesprochen. Das Kokain konnte ihm nicht eindeutig zugeordnet werden.
Der Bundesgerichtshof in Leipzig beschäftigte sich Mittwoch mit genau diesem Freispruch. Den Ermittlern waren bei der Sicherung der Beweismittel zahlreiche Verfahrensfehler unterlaufen. Das Landgericht bemängelte aber auch das Abgleichen einer DNA-Probe des Verdächtigen mit der BKA-Datenbank. Laut den Richtern war es ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Der "Einmalabgleich" finde im Gesetz keine Grundlage.
Bedingungen für genetischen Abgleich
Geht es nach den Vorschriften, müssen bei einem DNA-Abgleich genau definierte Punkte erfüllt sein. Erst dann darf eine Prüfung von Erbgut-Spuren eines Verdächtigen mit der BKA-Datenbank erfolgen. Zum einen muss es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln. Das war im angeführten Fall laut Landgericht erfüllt. Zum anderen muss für den Abgleich aber auch eine sogenannte "Negativprognose" gegeben sein. Vereinfacht ausgedrückt: Es muss zu befürchten sein, dass der Verdächtige weitere schwere Straftaten begehen wird. Das war im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Der von den Ermittlern vorgenommene Abgleich sei demnach unzulässig gewesen. Die aus dem Abgleich gewonnenen Informationen durften für die Strafverfolgung nicht verwendet werden. Das Gericht bemängelte das Vorgehen der Ermittler.
Ein Drittel der BKA-Datensätze sind unbekannter Herkunft
In der Datenbank des BKA sind nach eigenen Angaben etwa 1,2 Millionen Datensätze gespeichert. Etwa 800.000 davon sind identifizierten Personen zugeordnet. Rund 400.000 sind sogenannte Spurendatensätze. Diese Daten gehören zu Straftaten, bei denen die zugehörigen Personen noch nicht ermittelt werden konnten. Alle deutschen Polizeibehörden haben Zugriff auf die Informationen. Die gespeicherten Daten beinhalten DNA-Profile, die zweifelsfrei mit einem Verdächtigen in Verbindung gebracht werden können. Die Informationen dafür können aus Haaren, Speichel, Blut und anderen Spuren gewonnen werden, die Personen an einem Tatort zurücklassen.
Vorerst keine "Einmalabgleiche" mehr
Die Behörden in Schleswig-Holstein haben unterdessen mit den umstrittenen Abgleichen aufgehört. Das hat das Landeskriminalamt gegenüber NDR Schleswig-Holstein bestätigt. Ob der Freispruch in dem verhandelten Fall wegen Drogenhandel Auswirkungen auf das Vorgehen beim DNA-Abgleich hat, könnte sich nach Bekanntgabe der Begründung der Aufhebung des Freispruchs durch den BGH zeigen.
Generalstaatsanwaltschaft SH: rechtliches Neuland
Auf Anfrage teilte die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein mit, dass sie der Auffassung sei, "dass es grundsätzlich zulässig ist, aufgrund von Gerichtsbeschlüssen entnommene DNA-Proben einmalig mit der DNA-Analysedatenbank (DAD) abzugleichen." Diese Auffassung sei dem Landeskriminalamt auf Anfrage seinerzeit mitgeteilt worden. Weiter meint die Generalstaatsanwaltschaft, dass es sich um rechtliches Neuland handele. Daher sei "ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass bei anderslautenden Entscheidungen der Gerichte gegebenenfalls eine Neubewertung der Vorgehensweise zu erfolgen habe."
Nachdem der Freispruch gegen den seinerzeit Angeklagten wegen Drogenhandel nun aufgehoben ist, kommt der Fall zurück an das Landgericht Kiel und wird von einer anderen Strafkammer erneut verhandelt.