Tödliche Gefahren am Bahnsteig: Präventionsteam klärt auf

Stand: 18.09.2023 19:37 Uhr

Immer wieder kommt es an Bahnanlagen zu Unfällen. Oft sind es Kinder oder Jugendliche, die auf den Gleisen laufen, auf Güterzüge klettern oder Bahnschranken umgehen. Um dem entgegenzuwirken, schickt die Deutsche Bahn Präventionsteams an Schulen - auch an die Gemeinschaftsschule Am Lehmwold in Itzehoe.

von Christiane Stauß

Schockiert schaut Kimberly auf die gegenüberliegende Wand des Klassenzimmers. Das Video, das sie dort sieht, nimmt die 14-Jährige sichtlich mit: Ein Mädchen namens Vanessa erzählt, dass sie beim Klettern auf einen Waggon fast durch einen Stromschlag gestorben wäre. "Der Film hat mich aufgewühlt. Ich wollte den eigentlich nicht weiter gucken, wollte raus. Aber ich habe es durchgezogen, obwohl Erinnerungen hochkamen", sagt die Schülerin. Erinnerungen an ihre Freundin, die vor ein paar Jahren durch einen tragischen Unfall an den Bahngleisen ihr Leben verlor. "So ein Kurs ist wichtig, dass andere wissen, warum sowas passieren kann. Und darum wollte ich dabei sein", erklärt Kimberly.

Immer wieder Unfälle

Kimberly nimmt am Präventionskurs der Deutschen Bahn (DB) teil. Ein Präventionsteam der DB ist dafür an ihre Gemeinschaftsschule Am Lehmwold in Itzehoe (Kreis Steinburg) gekommen. Die Präventions-Experten Rouven Hennig und Matthias Lange wollen den Kindern der Gemeinschaftsschule an diesem Tag alles vermitteln über das richtige Verhalten an Bahnhöfen, Gleisen und Abstellplätzen für Züge. Denn immer wieder kommt es zu Unfällen von Kindern und Jugendlichen: Weil sie etwa Waggons besteigen oder zu nah an der Bahnsteigkante stehen und dann vom Zug erfasst werden.

Vor zwei Jahren verunglückten zwei Jugendliche in Schleswig-Holstein tödlich. Sie waren in Itzehoe auf einen Kesselwagen gestiegen, erlitten einen Stromschlag und starben. Die Zahl der Unfälle mit Verletzten oder Todesopfern steigt: So registrierte die Bundespolizei im Jahr 2022 insgesamt 1.141 Unfälle mit Personenschaden. 2021 waren es 1.083.

Strom kann auf Menschen überspringen

"Dass durch die Bahn-Oberleitungen 15.000 Volt fließen, das wissen die wenigstens. Es kann schon tödlich sein, wenn man den Leitungen nur nahekommt. Ein Abstand von 1,5 Meter reicht, damit der Strom auf den Menschen überspringt", erklärt Präventions-Experte Rouven Hennig. Er stellt fest, dass es einiges gibt, was den zehn Schülern der Flex-Klasse der Gemeinschaftsschule nicht klar war. Zum Beispiel, was das Andreaskreuz an Bahnübergängen bedeutet oder wie man sich an einem Bahnübergang richtig verhält. "Wann würdet ihr denn an einem beschrankten Bahnübergang stehenbleiben?", fragt Rouven Hennig in die Runde. Die Antworten? Von "immer" bis "man kann um die Schranken rumgehen" ist einiges dabei.

Was vermitteln die Eltern?

Doch die 14- bis 17-jährigen Schüler, die an der Schule ihren Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA) machen, sind wissbegierig und aufgeschlossen. Sie stellen viele Fragen, versuchen Antworten zu finden. Kimberly sagt, dass ihre Eltern ihr einiges zu dem Thema erklärt haben. Bei ihrer Freundin Casey ist das ähnlich: "Ich wusste ein paar Sicherheitsregeln, was man am Bahnhof nicht machen darf. Das weiß ich durch die Nachrichten und von meinen Eltern", meint die 15-Jährige. Dass die Eltern ihren Kindern das notwendige Wissen vermitteln, werde aber immer seltener, sagt Frank Albrecht. Er ist der Lehrer der Schüler und hat als Verantwortlicher für Mobilität die beiden Experten ins Haus kommen lassen. "Vor dreißig Jahren haben die Eltern den Kindern noch vieles erklärt. Das ist nicht mehr so", sagt er.

Bahnanlagen als Selfie-Motiv

90 Minuten dauert der Sicherheitsunterricht. Den meisten scheint es Spaß zu machen. Mit dem neu erworbenen Wissen im Gepäck geht es anschließend zum Bahnhof Itzehoe. "Die Kinder müssen die Warnschilder und die Stromleitungen in echt sehen und nochmal vor Ort darüber sprechen können, damit sie die Regeln verinnerlichen", erklärt Präventions-Experte Matthias Lange. Auf dem Bahnsteig appelliert er: "Wenn euch mal ein Kuscheltier oder ein Handy in die Gleise fällt: Lasst es liegen. Riskiert nicht euer Leben dafür. Das kann man alles neu kaufen." Kein Selfie sei es wert, sich in eine gefährliche Lage zu bringen. "Durch soziale Medien hat der Trend nach vermeintlich coolen Fotos und Videos zugenommen. Die Kids stacheln sich gegenseitig zu Mutproben an. Wir sagen immer: Haltet euch von solchen Leuten fern", sagt das Präventions-Duo.

Applaus nach der praxisnahen Erfahrung

Nach 30 Minuten praxisnaher Erfahrung gibt es Applaus von den Schülern. "Das war toll", freut sich Kimberly. "Ich wusste bis vorhin nicht, wofür die weißen Streifen am Bahnsteig sind und dass wir sie für Blinde freihalten müssen. Nun weiß ich es." Viel Wissen für die Kids der Flex-Klasse. Wissen, dass sie ab jetzt im besten Fall immer im Kopf behalten werden und das Leben retten kann.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 18.09.2023 | 19:30 Uhr

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