Straßenfest für alle: Kieler kämpft für Inklusion

Stand: 04.09.2023 20:18 Uhr

Bereits zum vierten Mal hat Fabian Liebrandt sein inklusives Straßenfest organisiert. Der 41-Jährige ist mit Behinderung geboren und setzt sich für Menschen ein, die sich nirgends zugehörig fühlen.

von Lisa Synowski

Mit konzentriertem Blick parkt Fabian Liebrandt seinen grauen Twingo direkt neben dem Kieler Gutenbergspielplatz. Als Kind hat der 41-Jährige hier gespielt - und sich dabei oft allein gefühlt. "Ich war einfach ein bisschen anders als die anderen und habe das Gefühl gehabt, da nicht so richtig reinzupassen", erinnert sich Fabian, während er mehrere Boxen mit Kuchenspenden aus dem Kofferraum seines Autos zieht. In wenigen Minuten geht auf dem Gutenbergplatz das Straßenfest los, das der Kieler bereits zum vierten Mal organisiert. Er will damit Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen. "Wenn ich mit Freundinnen unterwegs bin und Kinder Mama und Papa fragen, was wir haben, dann wechseln manche Eltern schon mal beschämt die Seite. Dieses Fest ist die Möglichkeit, auch Erwachsenen mal zu zeigen, wie man auf uns zugeht. Nämlich ganz normal. Einfach ansprechen", so Fabian, der sein Auto mit vollgepackten Armen abschließt und sich auf den Weg zum Büffet-Stand macht.

Zwischen den Welten gefangen

Der Veranstalter Fabian Liebrandt. © NDR
"Nicht Fisch, nicht Fleisch": So heißt die Gruppe, die Fabian Liebrandt ins Leben gerufen hat.

Fabian Liebrandt lebt seit seiner Geburt mit einer feinmotorischen und geistigen Behinderung. Das Gefühl, nicht ganz reinzupassen, das er als Kind auf dem Spielplatz hatte, hat ihn auch als junger Erwachsener noch begleitet. "Studentengruppen wollten mich wegen meines Handicaps nicht aufnehmen, und spezielle Gruppen für Behinderte waren auch nichts für mich. Ich sitze ja nicht im Rollstuhl und brauche auch keine dauerhafte Betreuung", sagt Fabian. Deswegen hat er vor acht Jahren schließlich seine eigene Gruppe ins Leben gerufen. "Nicht Fisch, nicht Fleisch" - für alle, die sich nirgends zugehörig fühlen, sondern wie zwischen den Welten gefangen. Aktuell sind sie etwa sechs Leute, die sich einmal in der Woche zum Kochen treffen und außerdem gemeinsam Ausflüge machen.

Freunde mit und ohne Behinderung

Die meisten aus der Gruppe helfen beim Straßenfest mit - so auch Roswitha Henning, die schon seit Anfang an bei "Nicht Fisch, nicht Fleisch" dabei ist. Heute steht Roswitha am Kuchenbüffet. Sie erklärt den Besuchern, welche Sorten es gibt, schenkt Kaffee aus und hat dabei sichtlich Spaß. "Ich arbeite richtig gerne. Und beim Straßenfest und unserer Gruppe finde ich toll, dass alle kommen können, behindert oder nicht", so Roswitha. Etwa fünfzehn Freunde und Bekannte helfen Fabian insgesamt. Viele hat er durch seine Straßenfeste überhaupt erst kennengelernt – zum Beispiel Ute Rohardt und ihren zehnjährigen Enkel Arthur. Die beiden waren beim allerersten Fest als Gäste dabei und so begeistert, dass sie Fabian seitdem helfen. "Das ist doch vollkommen egal, ob jemand ein bisschen anders ist, einfach vollkommen egal", sagt Arthur, der die Hotdog-Maschine bedient. Seine Großmutter sieht es ähnlich: "Man denkt nicht, das ist Inklusion, das müssen wir jetzt so machen, sondern das ist ganz natürlich mit Fabian hier. So würde ich mir das noch viel mehr wünschen."

Austausch statt Berührungsängste

Die Besucher*innen des Inklusionsstraßenfests. © NDR
Rund 300 Menschen sind beim inklusiven Straßenfest in Kiel dabei.

Seit zwei Stunden läuft das Fest inzwischen, und der Gutenbergplatz in der Landeshauptstadt füllt sich immer mehr. Etwa 300 Leute sind über den Tag verteilt da und haben Spaß. Fabian Liebrandt schafft es kaum stillzustehen. Er sieht beim Büffet und beim Kinderschminken nach dem Rechten und begrüßt immer wieder neue Gäste. "Das ist so schön zu sehen, dass hier alle offen und ohne Berührungsängste herkommen", sagt der Organisator, um dann direkt wieder weiterzulaufen.

Mutter von Fabian ist "wahnsinnig stolz"

Der Kieler hat eine ganz besondere Besucherin entdeckt. Seine Mutter Renate Liebrandt steht am Spielplatzeingang und beobachtet ihren Sohn sichtlich gerührt. Fabian holt sie ab und führt sie einmal über das ganze Fest. "Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn. Ich habe ihn vor 41 Jahren geboren mit der Prognose, dass er nichts können wird, und jetzt hat er all das auf die Beine gestellt", sagt sie - kritisiert aber auch, dass gesellschaftlich noch lange nicht alles gut sei, weil es viel zu wenig staatliche Unterstützung für Menschen wie Fabian gebe.

Straßenfest soll weitergehen

Fabian hört seiner Mutter aufmerksam zu und nickt immer wieder. Auch er ist der Meinung, dass in Sachen Inklusion noch viel zu tun ist. "Mein größter Traum ist, dass irgendwann wirklich alle Menschen gleich sind und kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen Menschen mit und ohne Behinderung", sagt der 41-Jährige. Um seinen Teil dazu beizutragen, will er sein inklusives Straßenfest auch im nächsten Jahr wieder veranstalten - am liebsten noch eine Nummer größer. Den Ministerpräsidenten habe er dafür schon angefragt, verrät Fabian Liebrandt noch, bevor er gemeinsam mit seiner Mutter in der Menge verschwindet.

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