Sprengmeister nimmt Zwischenfall in Kiel sehr ernst

Stand: 06.04.2023 17:01 Uhr

Am Sonntag ist am Kieler Ostufer das alte Kraftwerk gesprengt worden. Dabei wurde ein Metallteil anderthalb Kilometer durch die Luft geschleudert. Es schlug in die Fassade eines Wohnhauses ein. Verletzt wurde niemand. Im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein berichtet der verantwortliche Sprengmeister Eduard Reisch von dem Vorfall.

Seit über 40 Jahren arbeitet Eduard Reisch als Sprengmeister. Mehrere Tausend Sprengungen hat er eigenständig durchgeführt, doch einen solchen Vorfall habe er in seiner gesamten Berufskarriere nicht erlebt, erzählt er im Interview mit NDR Schleswig-Holstein.

Gesprengte Rauchgasentschwefelung und Silo des Gemeinschaftskraftwerks in Kiel © NDR
AUDIO: Sprengmeister Eduard Reisch äußert sich zum Spreng-Unfall (1 Min)

Herr Reisch, was ist da am Sonntag genau passiert?

Sprengmeister Eduard Reisch. © picture alliance/dpa Foto: Arne Dedert
Eduard Reisch arbeitet seit knapp 40 Jahren als Sprengmeister. Unter anderem sprengte er 2014 den AfE-Turm in Frankfurt am Main - die bis dahin höchste Gebäude-Sprengung Europas.

Eduard Reisch: Wir haben zunächst die Sprengung durchgeführt. Zwei Gebäude wurden zeitgleich gesprengt und im Nachgang wurde dann ein weiteres Gebäude gesprengt - einige Minuten später. Und dann hatten wir relativ zeitnah einen Anruf von dem geschädigten Anlieger, dass da ein Trümmerteil eingeschlagen hat. Wir haben uns das zunächst mal gar nicht vorstellen können in dieser Entfernung, aber klar: Wenn da ein Anruf kommt, gehen wir natürlich der Sache nach. Wir sind hingefahren, haben uns das angeschaut und festgestellt: Ja, es muss hier schon einen kausalen Zusammenhang hinsichtlich dem Ereignis im Kraftwerk gegeben haben. Wir haben eine Videoanalyse gemacht und haben da festgestellt, dass sich da ein Teil wegbewegt, nachdem das Gebäude wieder aufschlägt - und zwar sehr schnell. Wir haben am Anfang gedacht, es ist ein Vogel, haben aber dann festgestellt: Ein Vogel kann gar nicht so schnell wegfliegen. Und diese Entfernungen, die sind mit der Sprengung, mit Sprengstoffen in der Form, gar nicht zu erreichen. Das haben uns Kampfmittel-Experten gesagt, die auch Bombensprengungen durchführen.

Aber wir brauchen ja zunächst einmal auch eine Erklärung, auch für die möglicherweise noch zu erfolgenden nachfolgenden Sprengungen, aus was für einem Bereich das rauskommt und was hier für eine Ursache vorliegt. Über die Ursache können wir für zukünftige Sprengungen entsprechende zusätzliche Schutzmaßnahmen formulieren und dann natürlich in der Form auch an den zu sprengenden Objekten umsetzen. Es ist ganz klar, dass wir nach so einem Ereignis nicht zur Tagesordnung übergehen können.

Wie erklären Sie sich diesen Unfall nach der Videoanalyse?

Reisch: Da muss ein Stahlteil auf ein bereits am Boden liegendes Stahlteil aufgeschlagen sein. Das lag da vermutlich von der voran gegangenen Sprengung. Und das wirkte dann wie ein Katapult. Also einfach gesagt, wenn ich einen Löffel nehme und schlage da mit der Hand auf den Löffelstiel und da liegt ein Objekt auf dem Löffel, dann wird das natürlich in hohem Bogen fliegen. Und genau dieser hohe Bogen ist gerade das Thema, weil ein Splitterflug, der hat meistens eine wesentlich geringere Parabel. Das Teil muss ja mit einem Winkel von 35-45 Grad über einige Sekunden weggeschleudert worden sein. Also das ist aus einer Sprengung nach unserer derzeitigen Theorie im Grunde gar nicht möglich.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie realisiert haben, was da passiert ist?

Reisch: Zunächst einmal natürlich eine entsprechende Betroffenheit und dann natürlich auch aufatmen, nachdem man gesehen hat, dass es sich hier nur um Sachschaden handelt und nicht um einen Personenschaden. Das ist das wertvollste Gut, was wir haben - ein Menschenleben und die Gesundheit. Wir stehen da natürlich in der größtmöglichen Verantwortung, und der wollen wir nachkommen. Das ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass keine unbeteiligten Personen bei so einem Projekt zu Schaden kommen. Das ist eben die große Aufgabe. Und ich meine: Irgendwann ist immer das erste Mal, das war jetzt zum ersten Mal. Aber das heißt für uns zugleich, das darf kein zweites Mal passieren. Da müssen wir alles unternehmen und da geht es nicht ums Geld, sondern es geht um die Sicherheit. Ich mache das mittlerweile seit knapp 40 Jahren, bin bei solchen Sprengungen immer selber mit vor Ort und habe so etwas in dieser Zeit noch nicht erlebt. Und ich habe eigenständig mehrere Tausend Sprengungen durchgeführt.

Herr Reisch, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte NDR Schleswig-Holstein Reporter Christopher Gaube.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 06.04.2023 | 17:00 Uhr

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