"Immer mehr Frauen haben Bock auf Landwirtschaft"
Fünf Autoren begleiten fünf Auszubildende in fünf Branchen - über Wochen, Monate und Jahre: In einer langfristig angelegten Serie berichtet der NDR Schleswig-Holstein über junge Menschen im nördlichsten Bundesland, die ins Berufsleben starten. Wie läuft der Übergang von der Schule in den Berufsalltag? Welche Schwierigkeiten gibt es - und wer bleibt trotzdem bei der Stange? Wessen Träume erfüllen sich voll und ganz? Greift jemand bei der Berufswahl völlig ins Klo? Zum Auftakt der Serie stellen wir Tag für Tag die Protagonisten vor. Alle stehen ganz am Anfang ihrer Ausbildung.
von Cassandra Arden
Was soll ich nach der Schule machen? Vor dieser Frage steht jeder junge Mensch irgendwann. Evje Wieck wusste es ziemlich schnell: Sie wollte und will Landwirtin werden. Schon auf ihrer Heimatinsel Föhr hatte sie ein Praktikum auf einem Bauernhof gemacht. Dazu kam sie allerdings zufällig. Evje Wieck schmunzelt: "Wir mussten ein Schülerpraktikum machen. Ich hatte schon früh einen Platz beim Fotografen, aber dann hat der kurzfristig abgesagt." Das Problem: Wer kein Praktikum hatte, sollte den Hausmeistern helfen, und das war nun nicht unbedingt Evje Wiecks Plan. "Mich sprach dann eine Bekannte an, ob ich nicht auf ihrem Hof ein Praktikum machen wollte." Das wollte die inzwischen 18-Jährige. Anschließend half sie dort noch mehrere Jahre lang in den Ferien oft aus.
Ob es passt, entscheidet das Bauchgefühl
Die junge Frau mit den langen braunen Haaren und dem herzlichen Lachen hat Anfang des Jahres Abitur gemacht. Und eine Sache war für sie absolut klar, wie sie mit Nachdruck erklärt: "Ich wollte auf keinen Fall noch weiter irgendwas mit Schule machen. Ich hatte das letzte Schuljahr schon keine Lust mehr. Ich habe für mich entschieden, dass ich eine Ausbildung machen will und was Praktisches in der Hand haben möchte." Seit dem 15. Juli arbeitet und lebt sie nun auf Hof Backensholz in Oster-Ohrstedt in Nordfriesland. Ihr Chef Jasper Metzger-Petersen wirkt entspannt und entschlossen. Er führt das Familienunternehmen zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder. Als Evje Wieck sich um die Stelle beworben hat, musste sie erst mal ein Praktikum auf dem Hof machen, das war Voraussetzung für Metzger-Petersen. "Das ist wichtig, damit beide Seiten sehen können, ob es funktioniert, ob die Chemie stimmt." Bei Evje Wieck sei schnell klar gewesen, dass es passt, meint er und beide nicken.
"Ich würde nichts anders machen"
Der Betrieb hat rund 400 Kühe, ein paar Schweine und vier Hunde. Zu Evje Wiecks Aufgaben zählen Kühe melken, Ställe ausmisten und auch - wie vor ein paar Tagen - Silage fahren. Sie legt den Kopf schräg und gibt zu: "Wenn man zwei Tage nur Trecker fährt, dann ist das auch irgendwann langweilig. Aber so ab und an macht das Spaß. Ich finde gerade die Mischung gut." Zu Hof Backensholz gehört auch eine Käserei, die führt Jaspers Bruder. Evje Wieck hat damit nichts zu tun, ihr Revier ist die Landwirtschaft. Nach gut zwei Monaten fällt ihre Bilanz positiv aus: "Ich würde nichts anders machen und sofort wieder hier anfangen." Hinter uns erleichtern sich zwei Kühe, eine weiter pinkelt. Landwirt Jasper Metzger-Petersen lacht: "Ja, unser Beruf hat viel mit Pisse und Kacke zu tun." Evje Wieck schmunzelt und meint schulterzuckend, das gehöre eben dazu.
Manchmal ist es, als könnten Kühe beamen
Es regnet und die meisten Kühe stehen im Stall. Trächtige Kühe sind vom Rest getrennt. Evje Wiecks Chef guckt irritiert auf Teile seiner Herde und wendet sich an die Auszubildende: "Guck mal, was macht denn die eine Kuh da?" Er fragt das freundlich und nicht prüfend. "Sie zeigt Brunstverhalten." Evje Wieck reagiert überlegt, aber zügig und erklärt, dass das nicht sein sollte, "denn hier stehen ja nur Kühe, die nicht in der Brunst sein sollten." Jasper Metzger-Petersen nickt und murmelt mit dem Handy in der Hand: "Mal gucken, was da los ist. Es ist, als könnten die sich beamen." Jede Kuh hat einen Zahlencode, den schickt er nun einem Kollegen im Büro, der dann wiederum feststellen kann, ob die brünstige Kuh dort hingehört, wo sie steht, oder nicht. "Wenn wir feststellen, da steht sie falsch, dann muss Evje sie zurück in ihren Stall bringen."
Frauen in der Landwirtschaft werden mehr
Das macht Evje Wieck dann auch. Tor auf und schon bugsiert sie die Kuh in einen anderen Stallabschnitt. "Ich bin mit Tieren aufgewachsen, ich habe keine Angst," erklärt sie. "Man sollte immer Respekt haben, das sind große und starke Tiere. Klar kann sie sich mal drehen und dich dabei verletzen, aber Angst habe ich nicht. Man muss einfach aufpassen." Genau das müssen wir gerade auch, denn just in dem Moment fährt ein Trecker auf uns zu. Die rasante Fahrerin fegt den Stalldurchgang und schiebt das Futter für das Vieh wieder so zusammen, dass die Kühe drankommen. Jasper Metzger-Petersen erklärt, das sei seine Gesellin. "Fast müssen wir wieder Männerquoten einführen. Es werden immer mehr Frauen, die Bock auf Landwirtschaft haben. Wir stellen sie gerne ein, Frauen sind echt fit, sehr selbstständig und verstehen schnell - oft schneller als die Jungs in dem Alter."
Wohn- und Arbeitsort sind derselbe
Viele Auszubildende in der Landwirtschaft leben bei der Familie, denen der Hof gehört. Das ist auf Hof Backensholz ähnlich. Evje Wieck wohnt zusammen mit Dana im Mühlenhaus, in der Azubi-WG auf dem Gelände. Wirklich viel passiert abends nicht in Oster-Ohrstedt und Umgebung, aber Evje Wieck macht das nichts. "Meistens sitzen wir abends noch zusammen, quatschen und trinken ein Bier. Und ich finde es hier schon viel flexibler als auf Föhr. Da musste ich immer auf eine Fähre warten, hier kann ich ja einfach ins Auto steigen und losfahren, wenn ich das möchte." Nach Köln, Hamburg oder Berlin habe es sie nie gezogen. "Ich war schon immer ein Landei, die Stadt reizt mich nicht zum Leben," lächelt sie. Außerdem verstehe sie sich mit allen hier sehr gut. "Ich bin hier angekommen und würde es sofort wieder machen."