Seenotretter: Tägliches Training für den Ernstfall auf See
Regen, Sturm, Hagel - wenn sie alarmiert werden, dann müssen die Seenotretter raus aufs Wasser, egal bei welchem Wetter. Aber was genau macht die Crew, wenn kein Einsatz ist? Ein Stationsbesuch in List auf Sylt.
Alle zwei Wochen reist Lars Jordan aus seiner Heimat Kappeln nach List auf Sylt. Dort lebt der 47-Jährige dann für zwei Wochen in einer Männer-WG. Doch es handelt sich um keine normale Wohngemeinschaft. Alkohol ist tabu, sich weiter als 500 Meter vom Wohnhaus zu entfernen ebenso. Lars Jordan arbeitet für die Seenotretter - und da gilt: Während der zweiwöchigen Einsatzzeit auf der Insel muss er zu 100 Prozent einsatzfähig sein. Damit gehört er zu den 180 hauptberuflichen Seenotrettern der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), die an der deutschen Nord- und Ostseeküste im Einsatz sind.
Wechsel im Zwei-Wochen-Rhythmus
Was für viele als lange Abwesenheit von Familie und Freunden klingen mag, fühlt sich für einige Seenotretter wie Lars Jordan in List eher kurz an. Denn der 47-Jährige ist 20 Jahre lang zur See gefahren, hat als Kapitän großer Containerschiffe die Weltmeere bereist und war so meist vier bis fünf Monate am Stück unterwegs. Zeit, in der er zwar gutes Geld verdient, aber viele Entwicklungsschritte seiner drei Kinder verpasst hat. Nun aber, seit Januar 2022, arbeitet er im Zwei-Wochen-Rhythmus.
Er lässt den Motor des Rettungskreuzers Pidder Lüng an und das Schiff verlässt langsam den Hafen in List auf Sylt. Die Pidder Lüng gehört zu einem von 60 Rettungskreuzern- und booten, die zwischen Borkum und Usedom stationiert sind.
Notfälle, in denen Hilfe ausblieb
Für Seefahrer Lars Jordan ist dieses umfassende Rettungs-Netzwerk nicht selbstverständlich. Zweimal hatte er während seiner Zeit als Containerschiff-Kapitän medizinische Notfälle, in denen der Crew nicht sofort geholfen werden konnte. Vor der ägyptischen Küste erlitt ein Matrose einen Herzinfarkt, doch er durfte nicht an Land gebracht werden. Während die Besatzung ihn insgesamt vier Mal reanimierte und es immer wieder zum Herzstillstand kam, konnte Lars Jordan irgendwann doch dafür sorgen, dass sein Schiff den nächsten Hafen anlaufen durfte. Der Matrose überlebte.
Ein anderes Mal stürzte ein Matrose von einer Treppe, während das Schiff im Golf von Aden unterwegs war. Ein Arbeitsunfall, mit mehreren Brüchen in Schulter und Bein. Auch hier kam keine Hilfe von den umliegenden Ländern, erst mithilfe der Nato wurde ein Arzt an Bord gebracht. Für Lars Jordan war das ein ausschlaggebender Punkt, der zu seiner Bewerbung bei der DGzRS führte.
Manövertrainings sind Alltag
Nun also arbeitet er auf einem ganz anderen Schiff. Die Pidder Lüng sei gerade mal so groß wie der Motor der Containerschiffe, die er fuhr, sagt Lars Jordan lachend. Statt 345 Metern Länge nun 20 Meter. Auf dem Rettungskreuzer sind die Wellen deutlicher spürbar. Aber das Schiff ist eben wendig - und für verschiedene Notfälle ausgestattet. Damit Lars Jordan und seine beiden Kollegen darauf vorbereitet sind, sind die beiden wichtigsten Tagesaufgaben die Instandhaltung und das Manöver-Training.
Die Pidder Lüng steuert den Sylter Ellenbogen an, der rot-weiße Leuchtturm ist deutlich erkennbar. Crewmitglied Marcus Eichstädt steigt in das Arbeitsboot, das auf dem Heck des Kreuzers liegt, während Lars Jordan die Geschwindigkeit drosselt. Die Sicherheitsvorrichtungen öffnen sich und Marcus Eichstädt rollt rückwärts mit dem kleinen Arbeitsboot zu Wasser. Er will das Anfahren trainieren. Das heißt, er steuert mit dem Arbeitsboot den Rettungskreuzer während der Fahrt von der Seite an. Ein Manöver, das vor allem dann zum Einsatz kommt, wenn eine gerettete Person schnell übergeben werden muss. Deshalb wird immer wieder geübt, egal bei welchem Wetter. Mehrere Male nimmt Marcus Eichstädt mit seinem kleinen Boot Fahrt auf, springt über die Wellen, um dann Seite an Seite am Rettungskreuzer parallel zu fahren. Er ist zufrieden mit dem Training.
Grund für Rettung spielt keine Rolle
Die Zahl der Einsätze für die Crew ist verhältnismäßig gering. Etwa 30 Mal im Jahr werden sie auf Sylt alarmiert. Oft geht es dann aber um Leben und Tod. Die Seenotretter helfen Kitern, die auf die Nordsee hinausgezogen wurden, Fischkuttern oder Yachten mit Mastbrüchen genauso wie Booten, die auf Grund gelaufen sind. Auch Stand-Up-Paddler, die die Strömung unterschätzt haben und abgetrieben wurden, sind auf die DGzRS angewiesen. Oft brauchen auch Badegäste, die von der Flut überrascht wurden oder ihre Kräfte falsch eingeschätzt haben, dringend Hilfe. Ob jemand aus Leichtsinn oder anderen Gründen einen Rettungseinsatz braucht, ist für Jordan nebensächlich: "Warum oder wie sie ins Wasser gekommen sind, spielt für mich keine Rolle. Für mich hat die Rettung Priorität."
Der Seenotretter sagt aber auch: "Der beste Einsatz ist der, der ausbleibt." Trotzdem muss er rund um die Uhr einsatzbereit sein, darf deshalb beispielsweise auch das Wohnhaus im Hafen von List nicht weiter als 500 Meter verlassen: "Lange Radtouren oder Strandspaziergänge gehen zum Beispiel nicht. Aber ich bin ja auch nicht zum Urlaub machen hier, sondern zum Arbeiten."
Und weil die Urlaubsgäste davon in der Regel nicht viel mitbekommen, macht die spendenfinanzierte DGzRS mit dem Tag der Seenotretter auf sich aufmerksam. Für heute sind alle interessierten Besucher eingeladen, sich zum Beispiel eine Rettungsvorführung im Lister Hafenbecken anzuschauen. Eine Liste der teilnehmenden DGzRS-Stationen gibt es unter seenotretter.de/magazin/tag-der-seenotretter.