Schreiben gegen den Krebs: Die Gedanken fließen lassen
Jedes Jahr erkranken allein in Schleswig-Holstein 19.500 Menschen an Krebs. Nach der Diagnose fallen laut Krebsgesellschaft viele Patienten in ein Loch. Deshalb bietet die Krebsgesellschaft das sogenannte therapeutische Schreiben an.
Es war ein Schock für Anke, als der Eierstockkrebs nach neun Jahren zurück kam. Eigentlich hatte sie ihn doch besiegt. Sie ist jetzt wieder in der Chemotherapie. "Und die hat erst einmal ganz viel Angst hochgeholt. Weil das ist ja wirklich ein Gift und beim letzten Mal fühlte ich mich total vergiftet." Sie habe sich hilflos gefühlt und ist dann auf die Schreibtherapie der Krebsgesellschaft Schleswig-Holstein aufmerksam geworden. Hier treffen sich Erkrankte und Angehörige, um gemeinsam zu schreiben. Das habe geholfen, sagt Anke: "Während des Schreibens kam zwar die Angst in mir hoch, aber mir ist auch eingefallen, dass ich ja damals auch damit zurecht gekommen bin."
Alles darf aufs Papier
Mut machen. Kraft spenden. Oder auch Trost. Loslassen. Sich sortieren. Angst zulassen oder auch Wut. "Alle Gefühle sind willkommen", sagt Doris Hönig. Sie leitet den Kurs als zertifizierte Schreibtherapeutin. Beim therapeutischen Schreiben geht es nicht darum, literarische Texte zu schreiben und diese vor der Gruppe vorzutragen. Vielmehr, sagt Doris Hönig, gehe es darum, die Gedanken vom Bauch in die schreibende Hand zu lenken. Einfach mal den Kopf auszuschalten und loszulegen. Für das Loslegen gibt sie Anregungen. Das heißt, die ausgebildete Sprecherin trägt mit ihrer sanften, tiefen Stimme eine Geschichte vor - und die Teilnehmerinnen hören aufmerksam zu. Dann kommen Stift und Papier ins Spiel - und es wird einfach losgeschrieben. Fragen. Antworten. Gedankenfetzen. Widersprüche. Alles darf aufs Papier.
Was dabei auf dem Papier landet, das sei gar nicht so wichtig, sagt Doris Hönig. Was während des Prozesses im Kopf passiere, dafür umso wichtiger. Helga Hertz-Kleptow ist nicht selbst erkrankt. Sie nimmt an diesem Kurs teil, weil ihre Tochter an Krebs erkrankt und vor zwei Jahren gestorben ist. Ihre Trauer ist nach wie vor sehr präsent. Sie versucht, mit Hilfe des Schreibens "etwas aufzuarbeiten, zu lösen oder loszulassen. Mich ein wenig zu sortieren."
Den eigenen Fokus finden
Normalerweise findet der Kurs online statt. Dann sitzen die Teilnehmenden zu Hause, im gewohnten Umfeld. Doch an diesem Tag kommt die Gruppe nach dem sechswöchigen Kurs zur Abschlusssitzung direkt bei der Krebsgesellschaft in Kiel zusammen. Alle sehen sich zum ersten Mal ohne Bildschirm. Die Gruppe sitzt im Stuhlkreis, in der Mitte brennt eine Kerze. Doris Hönig beginnt mit einer Meditationsreise, die als Schreib-Impuls für die Teilnehmerinnen dient. Die Teilnehmerinnen haben ihre Augen geschlossen, die Hände liegen im Schoß. Außer der Stimme der Kursleiterin ist nichts zu hören. Der Fokus - er liegt ganz im Inneren.
"Durch das Niederschreiben ist nicht mehr alles nur im Kopf." Kursteilnehmerin Anke
Doris Hönig erklärt: "Eigentlich wissen wir, was uns gut tut und was wir machen müssten, damit wir glücklich sind." Dieses Wissen sei aber zugeschüttet von gesellschaftlichen Normen, von Vorschriften, von Erziehung, sodass einzelne gar nicht mehr zu diesem Wissen hinkommen. "Und das Schreiben, das ist so ein bisschen wie ein Bagger, der das zur Seite schieben kann." Dadurch würde die Verbindung zum eigenen Wissen wieder spürbar sein. Dieses Wissen helfe auch Krebserkrankten und Angehörigen: "Wenn es um Personen geht, die sich mit einer lebensgefährlichen Krankheit beschäftigen müssen, dann ist es natürlich noch wichtiger, wenn sie diese Verbindung wieder herstellen können."
Keine Esoterik
Organisiert wird die Schreibtherapie von der Krebsgesellschaft Schleswig-Holstein. Denn dass das Schreiben einen heilenden Effekt haben kann, sei wissenschaftlich erwiesen, so Vanessa Boy, Geschäftsführerin der Krebsgesellschaft. Sie habe viele positive Rückmeldungen zum Kurs bekommen, dem insgesamt achten binnen vier Jahre. Viele Teilnehmde kommen ihr zufolge nicht mit sehr konkreten Vorstellungen und seien überrascht, was es psychisch mit ihnen machen würde.
Der Kurs hat wenig mit Esoterik zu tun, ist keine Spinnerei, sagen die Teilnehmerinnen. Aber was genau es ist, das hilft, kann auch Anke zunächst nicht benennen. Das Schreiben gebe ihr aber mehr Sicherheit. "Und das kommt durch dieses Niederschreiben. Das kommt runter und ist nicht mehr alles nur da oben im Kopf." Der nächste kostenfreie Kurs zum therapeutischen Schreiben findet online statt und startet am 8. Februar.