Pflicht zum Gesellschaftsjahr: Viel Kritik und Skepsis
Die CDU hat sich gestern auf ihrem Parteitag für eine schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen. Danach könnte es dann übergehen in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr. Die Reaktionen fallen ganz unterschiedlich aus.
Wehrpflicht oder Zivildienst - das war bis 2011 für die meisten jungen Männer verpflichtend in Deutschland. Die CDU möchte dies wieder einführen - und das verpflichtende Gesellschaftsjahr soll dann folgen. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) begrüßt den Kurs. Unterstützung für ein gesellschaftliches Pflichtjahr bekommt er von Sozialministerin Aminata Touré (Grüne). Sie ist nach eigenen Worten überzeugt, dass ein fest vereinbarter Zeitraum, in dem sich Menschen sozial engagieren und in den Dienst der Gesellschaft stellen, einen großen Mehrwert für alle hätte.
Sozialministerin Touré: Eine Idee, die polarisiert
Touré sprach auch den großen Fachkräftemangel in den sozialen Berufen an. "Und auch gesellschaftlich stehen wir vor der Herausforderung, dass wir eine zunehmende Spaltung haben. Und deshalb bin ich als Sozialministerin der Überzeugung, dass es gut wäre, darüber nachzudenken, wie man gerade in jungen Jahren ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr auf den Weg bringen könnte." Die Grünen-Ministerin betonte, sie wisse, dass die Idee polarisiere, da es um einen Eingriff in die individuelle Freiheit eines jeden Einzelnen geht. Andere Parteien in Kiel sehen die Pflicht hingegen kritisch. Die FDP verweist auf verfassungsrechtliche Hürden. Die SPD ist der Meinung, man solle zunächst freiwilliges Engagement stärken, bevor man einen Pflichtdienst fordert.
Paritätischer Wohlfahrtsverband: "Denke der Achtziger und Neunziger"
Die Wohlfahrtsverbände in Schleswig-Holstein halten ebenfalls nicht viel von der Idee eines "verpflichtenden Gesellschaftsjahres" - lehnen es sogar teilweise vehement ab. Der Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Michael Saitner, sagte, eine Pflicht sei der falsche Weg: "Das ist eine Denke der Achtziger und Neunziger, und da sind wir weit drüber weg. Und wir erleben, dass es gerade nicht förderlich ist, Menschen zu zwingen, sich zu engagieren." Freiwilligkeit sei der bessere und erfolgreichere Weg. "Wir geben uns einem Trugschluss hin, wenn wir meinen, dass wir durch eine Verpflichtung Menschen motiviert bekommen, sich ehrlich und ernsthaft zu engagieren." Viel besser sei es, den Freiwilligendienst (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) weiter zu stärken. "Diese Dienste klappen doch super", lobte Saitner.
Diakonie SH: Wie sollten all die jungen Menschen betreut werden?
Auch die Diakonie setzt weiter auf Freiwilligkeit und möchte genau diese Dienste wie FSJ und BFD stärken. Das Gegenteil sei aber gerade der Fall, sagte Diakonie-Sprecher Friedrich Keller. "Die Bundesregierung möchte ja bei Freiwilligendiensten einsparen." Die Konsequenz könnte sein, dass sich weniger junge Menschen engagieren werden. "Wie soll das dann funktionieren, wenn mehr junge Menschen durch ein Gesellschaftsjahr verpflichtet werden würden? Das passt doch überhaupt nicht zusammen, denn es müssten ja zusätzliche Strukturen geschaffen werden." Junge Leute müssen nach Ansicht der Diakonie auch gut betreut werden, wenn sie zum Beispiel in sozialen Berufen arbeiten. Aber dafür fehle es momentan an Möglichkeiten und Personal.
AWO: Verpflichtendes Gesellschaftsjahr löst die Probleme nicht
Michael Selck, Vorstandsvorsitzender der AWO Schleswig-Holstein, glaubt nicht daran, dass ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr die Probleme lösen könnte, die es zum Beispiel in Pflegeberufen gibt. "Die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht." Zu wenig Anerkennung, zu wenig Geld, zu viel Arbeitsbelastung: Viele junge Leute schrecken diese Bedingungen ab, und da würde laut Selck auch keine Pflicht helfen. "Unsere Forderung wäre jetzt eher nicht, noch eine weitere Säule aufzubauen, die auf Zwang beruht - sondern eher diese Freiwilligendienste besser auszustatten, besser zu gestalten und auch mit mehr Geld auszustatten."
Landesjugendring: Begeisterung hält sich in Grenzen
Wie sieht es denn die Jugend? Wie ist dort die Stimmung? "Ich glaube nicht, dass das in der großen Mehrzahl auf Zustimmung stößt", sagte der Geschäftsführer des Landesjugendringes Schleswig-Holstein, Frank Zeiler. Und damit meint er sowohl eine Wehrpflicht als auch das verpflichtende Gesellschaftsjahr. "Zur Bundeswehr können junge Menschen jetzt auch schon gehen, wenn sie möchten", sagte Zeiler. Warum also Pflicht? Es gibt den Freiwilligen Wehrdienst (FWD). In einem Zeitraum von sieben bis 23 Monaten könne jeder so den Soldatenberuf kennenlernen.
Zeiler: "Will man Menschen, die keinen Bock auf die Arbeit haben?"
Das verpflichtende Gesellschaftsjahr könnte nach Ansicht des Landesjugendringes auch auf rechtliche Schwierigkeiten stoßen. "Die Frage ist: Widerspricht das nicht den Freiheitsrechten?", sagte Zeiler. Außerdem sei Freiwilligkeit der bessere Weg - Pflicht funktioniere nicht. Etwas überspitzt sagte Zeiler: "Wenn ich mir vorstelle, ich kriege bei der Arbeit irgendeinen Menschen, der da gar keinen Bock drauf hat. Warum soll ich das der Gesellschaft zumuten?" Er bekomme mit, dass viele junge Menschen Lust auf soziales Engagement hätten, aber eben, weil sie selbst dafür brennen. Und auch eine andere Frage müsse man sich bei dem Vorschlag der CDU stellen: "Geht es da wirklich um junge Menschen oder darum, billiger an Arbeitsplätze ranzukommen?"