Pascal "Qualle" Martin: "Schiri-sein ist wie Spinatessen"

Stand: 30.04.2023 05:00 Uhr

In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Schiedsrichter im Amateur-Fußball fast halbiert. Grund dafür ist unter anderem die zunehmende Gewalt gegen die Unparteiischen. Pascal Martin setzt sich auf dem Feld und in den Sozialen Medien für mehr Respekt im Fußball ein.

von Lisa Pandelaki

Der Pfiff zur Halbzeit gellt über den Sportplatz der FT Eintracht Rendsburg. Sofort stürmt eine Horde Kinder und Jugendlicher mit Smartphones in der Hand auf das Spielfeld. Ihr Ziel: Schiedsrichter Pascal Martin, genannt Qualle. "Qualle", "Qualle", rufen sie schon von weitem. "Kannst du mal was zu TikTok sagen?", fragt ein Junge, als er vor seinem Idol steht. "Ich sag zu TikTok, seid immer alle fair, respektvoll und macht keinen Blödsinn", antwortet Martin. "Und werdet niemals Influencer, sondern macht einen vernünftigen Beruf!", setzt er lachend hinten dran.

Der 21-Jährige ist neben seinem Amt als Fußball-Schiedsrichter Tiktok-Star und setzt sich auf dem Platz und in den Sozialen Medien für einen respektvollen Umgang mit den Unparteiischen ein. Viele Zuschauer sind an diesem Tag seinetwegen gekommen. Normalerweise stehen nur fünf oder sechs Elternteile am Spielfeldrand der D-Jugend. Jetzt sind es 170 und es kommen immer noch mehr.

Knapp eine Million Follower auf verschiedenen Plattformen

Es ist ein sonniger Tag in Rendsburg im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Popcornmaschine und Würstchengrill laufen sich warm, im Hintergrund fährt ein Zug über die Hochbrücke. Auf dem grünen Rasen bereiten sich die Jugendmannschaften der Eintracht Rendsburg und des FC Fockbeck auf das Freundschaftsspiel vor. Der Anpfiff verzögert sich, kommt eine Lautsprecherdurchsage. Der Grund: Eine zerbrochene SD-Karte. Der Jungschiedsrichter hat seinen Content-Creator dabei, der das Spiel filmen soll. Doch erst braucht es einen Kartenersatz. Mit einem Video aus einer Garage, die ihm als Umkleide dienen sollte, schaffte er vor einigen Jahren auf TikTok den Durchbruch. Mittlerweile folgen ihm nur auf dieser Plattform über 750.000 Menschen. Zusammen mit Youtube und Instagram kommt er auf knapp eine Million Follower. Fast jeden Tag lädt er hier Videos über seinen Alltag als Schiedsrichter hoch oder schildert seine Sicht auf die Fußballwelt.

Immer weniger Schiedsrichter im Amateur-Fußball

Martin nach Rendsburg einzuladen, war die Idee von René Raddatz. Er leitet den Bereich Fußball des Vereins, in dem auch seine Söhne spielen. "Meine Kids gucken das (Qualle; Anm. d. R) jeden Tag. Irgendwann habe ich gedacht, das wäre eine gute Idee, um uns als Verein nach vorne zu bringen, vielleicht ein paar Schiris zu kriegen, ein paar Spieler. Dann habe ich einfach mal angerufen und gefragt, wann denn mal ein Termin frei ist", erklärt Raddatz. Eigene Schiedsrichter hat der Verein keine. Jede Saison muss er deshalb eine Strafgebühr bezahlen oder bekommt Punktabzüge.

Diese Situation ist exemplarisch für den gesamten Amateurfußball. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Schiedsrichter von 80.000 auf knapp 45.000 verringert. Den Hauptgrund sehen Raddatz und auch Martin in dem respektlosen Umgang mit den Unparteiischen. "Ich kenne viele Schiris, die sagen, ich hab darauf keine Lust, immer das Pöbeln oder dann 'Ich weiß wo dein Auto steht' und nach dem Spiel wird der Schiri gejagt", sagt Raddatz. Auch auf dem Spielfeld in Rendsburg habe es einige Vorfälle gegeben. Martin erzählt von Kollegen, die von erbosten Spielereltern am Hals gepackt werden. Und auch die jungen Zuschauer und Spieler reagieren auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, Schiri zu werden, zurückhaltend. "Man wird halt sehr oft beleidigt", erklären sie einvernehmlich. Da werden sie lieber Fußballer.

Respekt vor dem Schiri, Hass auf den Influencer

Schiedsrichter Pascal Martin wird während einer Trinkpause von seinen Fans belagert. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Martin nutzt jede Spielpause, um seine Message an die jungen Spieler zu bringen.

"Ich will gleich was sehen von euch. Aber keine Foul-Spiele, sondern Tore!", macht Martin den jungen Fußballern auf dem Platz gleich klar. Die Spieler nicken brav. "Also ich muss sagen, ich habe mir ja irgendwo den Respekt schon vorher selbst vorgearbeitet", erklärt Martin die Zurückhaltung der Spieler. "Es ist mittlerweile so, ich werde nicht mehr beleidigt, nicht mehr geschlagen oder nicht mal angespuckt." Dafür schlägt ihm jetzt im Internet der Hass entgegen. "Du machst das doch nur für die Kamera", ist ein Kommentar, den Martin öfter unter seinen Videos liest. "Du kannst so viel Gutes machen, die Leute versuchen trotzdem immer dir etwas Negatives anzuhängen", erklärt Martin sein Unverständnis über solche Sätze. Erst in der vergangenen Woche sei ein Vater zu einem Spiel gekommen und habe ihm eine Flasche an den Kopf geworfen. Nur dafür sei er gekommen, gibt Martin offen Einblick in die Schattenseiten seines Influencer-Daseins.

Persönlichkeitsentwicklung durch Schiedsrichter-Amt

Die Mannschaft aus Rendsburg gibt es erst seit fünf Monaten. Dass sie schon nach so kurzer Zeit einen solchen Promi bei sich auf dem Feld stehen haben, motiviert. "Torwart geh' nicht mit dem Fuß so hoch. Wenn du ihn triffst, ist das eine rote Karte. Niemals den Fuß so hin, das kannst du bei Kung Fu machen.", "Nr. 7, gib' mal Handshake, sag mal Entschuldigung!", "Ruhig bleiben, nicht aus Emotionen draufhauen", "Einfach weitermachen", moderiert Martin souverän die jungen Spieler. Er selber sei als Spieler leider untalentiert, gibt Martin zu. Außerdem habe er schon als Kind gerne Sachen gemacht, die sonst keiner gemacht habe. So sei er auch Schiedsrichter geworden. "Und es war die beste Entscheidung. Ich habe so viel dazugewonnen, mal abgesehen von dem ganzen Film und so. Ich habe so eine gute Persönlichkeitsentwicklung bekommen. Ich kann mich heutzutage vor Menschen hinstellen, vor Kameras hinstellen. Das hätte ich vorher nie gekonnt."

Message: "Probiert es mal aus!"

Nach dem Spiel ist Martin sofort wieder von einer Menschentraube umgeben. Er nutzt die Aufmerksamkeit, schnappt sich ein Mikrofon und hält eine kleine Ansprache. "Schiri-sein ist wie Spinatessen", erklärt er den aufmerksamen Zuschauern. Erst wenn man es ausprobiert habe, wisse man, ob es was für einen sei. Auf die Frage, wie nachhaltig sein Werben für das Amt denn sei, antwortet er, dass er jeden Tag bestimmt fünf Nachrichten von jungen Sportlern bekäme, die ihm sagen, sie wollen wegen ihm Schiri werden oder hätten den Schein schon gemacht.

Ob sein Enthusiasmus auch auf die Rendsburger abgefärbt hat und der Verein sich bald über neue Schiedsrichter freuen kann, wird sich zeigen. Der Tag mit Martin war in jedem Fall für alle ein großer Erfolg. "Eigentlich müsste so etwas allgemein einmal im Monat gemacht werden. Also nicht nur hier in Rendsburg, überall", findet zumindest Raddatz. Die Jugendlichen, die nach dem Spiel brav in der Schlange warten, um sich Foto und Autogramm von ihrem "Qualle" abzuholen, hätten dagegen sicherlich nichts einzuwenden.

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