Nach Sturmflut an Ostseeküste: Große Schäden, Aufräumarbeiten laufen

Stand: 21.10.2023 19:58 Uhr

Ein mächtiger Sturm sorgte für Überschwemmungen in Schleswig-Holstein. In Flensburg gab es die höchste Sturmflut seit 100 Jahren. Die Einsatzkräfte hatten alle Hände voll zu tun. Es gab ein Todesopfer auf Fehmarn. Die Aufräumarbeiten laufen. Dieser Artikel hat den Stand von Sonnabend, 19:58 Uhr. Aktuelle Weiterentwicklungen lesen Sie hier: Aufräumarbeiten laufen, Bürgermeister fordern Hilfen.

Deichbrüche, Evakuierungen, vollgelaufene Keller, überschwemmte Straßen, gesunkene Boote, Äste auf Autos und Gleisen - die angekündigte Sturmflut traf Schleswig-Holsteins Ostseeküste mit voller Wucht. Für manche Küstenbewohner und viele Einsatzkräften wurde es eine lange Nacht. Bis zum frühen Morgen zählten die Feuerwehren im Land mehr als 1.500 Einsätze. Allein im Kreis Schleswig-Flensburg waren am Freitagabend insgesamt 700 Feuerwehrleute im Einsatz. Laut den Leitstellen hat sich die Situation an der Ostseeküste in der Nacht beruhigt. In vielen Regionen sinken die Wasserstände wieder. Bereits im Verlauf des Vormittags sanken die Wasserstände unterhalb der kritischen Marke von einem Meter über Normal ab.

Flensburgs Oberbürgermeister Geyer: Es geht ans Aufräumen

Am Flensburger Hafen waren am Vormittag einige Menschen unterwegs, die sich die Auswirkungen der Flut in ihrer Stadt anschauten. Viele Restaurants in Hafennähe waren überflutet und wurden ausgepumpt. Am Sonnabend war vor allem Aufräumen angesagt. Dazu bekam Flensburg neben dem THW Unterstützung von sechs Löschfahrzeugen aus Plön und vier aus Neumünster. Der Flensburger Oberbürgermeister Fabian Geyer (parteilos) sprach am Sonnabendmorgen von einem "extremen Hochwasser". Das Schlimmste sei aber überstanden: "Heute wird es ans Aufräumen gehen."

Wasserstand für die Ostseeküste

In Flensburg lag der Pegel am Morgen nach Daten der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung um 6 Uhr noch 1,63 Meter über dem Normalwert, um 10.33 Uhr nur noch bei 1,06 Meter und am späten Nachmittag bei 0.35 Meter (16.33 Uhr). In der Nacht war der Pegel auf ungeahnte Höhen gestiegen: 2,27 Meter über dem mittleren Wasserstand - Höchstwert in Flensburg seit mehr als 100 Jahren. Im Vorwege waren lediglich Pegelstände von bis zu zwei Meter über dem Mittleren Wasserstand erwartet worden. In Eckernförde betrug der Wasserstand um 6 Uhr 1,57 Meter über normal, vier Stunden später 1,03 Meter und um 16.33 Uhr 0,35 Meter. Der Höhepunkt lag in der Nacht bei etwa 2,10 Meter.

Katastrophenschutz: Hohe Millionenschäden

Große Probleme gab es in den Kreisen Rendsburg-Eckernförde, Schleswig-Flensburg sowie in den Städten Flensburg und Kiel, wie das Innenministerium in Kiel am Sonnabendmorgen mitteilte. Insgesamt habe es drei Deichbrüche im Kreis Schleswig-Flensburg gegeben. An mehreren Stellen im Land wurden Deiche beschädigt - unter anderem in Maasholm an der Schlei. In Ostholstein wurden mehrere Strandwälle von den Fluten durchbrochen und Deiche beschädigt. In Schleswig wurde der Hafen überflutet, der Strom wurde abgestellt. Aus Sicherheitsgründen schalteten die Stadtwerke in Flensburg ebenfalls den Strom in vom Hochwasser betroffenen Bereichen ab.

Das Ausmaß der Zerstörungen, die die Ostsee-Sturmflut angerichtet hat, wurde im Lauf des Tages sichtbar. Der Leiter des Stabes Katastrophenschutz im Innenministerium Schleswig-Holstein rechnet mit einem Hochwasserschaden in dreistelliger Millionenhöhe. "Mit dem ersten Tageslicht wird man auch die Schäden erstmal konkreter erkennen", sagte Ralf Kirchhoff. Er geht davon aus, dass die Schäden an Hochwasserschutzanlagen oder Gebäuden zum Teil erheblich sein werden.

Bootsbauer Hansen aus Schleswig: "Es ist eine Vollkatastrophe"

Erst wenn das Wasser abgelaufen ist, können Experten jedoch damit beginnen, Schäden detailliert zu erfassen. Neben Deichen und Hochwasserschutzanlagen sind auch Hafenanlagen, Uferbefestigungen und Gebäude betroffen. "Hier sind Stege kaputtgeschlagen. Boote sind defekt, teilweise auch gesunken. Im Strandbereich sind erhebliche Sandverluste zu verzeichnen. Nach meiner ersten Einschätzung gehe ich davon aus, dass wir Hilfen vom Land brauchen", sagte Heiligenhafens Bürgermeister Kuno Brandt (parteilos) am Sonnabend.

Entsetzt reagierte Bootsbauer Björn Hansen, als er am Morgen das Ausmaß der Schäden im Hafen Schleswig sah. "Es ist eine Vollkatastrophe. Ich weiß nicht, wie viele Schiffe gesunken sind. Überall gucken Masten raus. Boote, wo du rechts und links gucken kannst, alles an Land. Hier hat sich alles zerlegt. Es ist wirklich nur noch Chaos", schilderte Hansen.

Aufräumen im Hafen Damp könnte Monate dauern

Auch in Damp am Hafen zeigte sich ein Bild der Zerstörung. Etwa 20 Jachten sind nach Angaben unserer NDR Reporterin Cassandra Arden total kaputt. Entweder weil sie gesunken oder weil sie gegeneinander geprallt sind. Rund ein Dutzend wurde von dem Hochwasser auf die Promenade geschwemmt - und die liegen da jetzt auf dem Trockenen. Im Hafenbecken selbst treiben Holzplanken, weil einige Stege gebrochen sind. Ein Beamter der Wasserschutz-Polizei sagte NDR Schleswig-Holstein, dass der Hafen fast nicht mehr existent sei. Er glaube, dass das Aufräumen im Hafen Damp sicherlich Monate dauern werde.

Viele Freiwillige halfen auch in Glücksburg

Für den Fall einer Evakuierung hatte die Hanseatische Jachtschule 300 Betten vorbereitet und für Suppe und belegte Brötchen gesorgt. Die Betten blieben leer, aber durch das Essen konnten die Helfenden versorgt werden. "Das hat super gut geklappt", sagt Glücksburgs Bürgermeisterin Kristina Franke (parteilos): "Alle haben professionell zusammengearbeitet, jeder hat sein Bestes gegeben und sich bis aufs Letzte verausgabt. Dieses Gefühl der Zusammenarbeit in der Nacht, da habe ich richtig Gänsehaut bekommen." Auch am Sonnabend riss die Hilfe nicht ab: Am Strand von Holnis legten die freiwilligen Helfer Müllsäcke aus. Spaziergänger packten im Laufe des Tages alles ein, was nicht an den Strand gehörte und legten die vollen Säcke an die Promenade. "Der Strand ist sauber, ich bin sprachlos", sagt Kristina Franke.

Evakuierungen: 2.000 Menschen in Schleswig-Holstein betroffen

Einige Hochwassergebiete wurden evakuiert. Nach Schätzung des Katastrophenschutzes waren etwa 2.000 Personen betroffen - unter anderem in Orten wie Eckernförde, Schleswig und Brodersby. In Maasholm an der Schleimündung mussten allein rund 400 Menschen ihre Häuser verlassen. Dort war ein Deich am Freitagabend gebrochen. In der Altstadt von Eckernförde gab es freiwillige Evakuierungen der Bewohner aus Teilen der Altstadt. Das Schulzentrum Süd in Eckernförde wurde als Notquartier hergerichtet. Der Kreis Rendsburg-Eckernförde hatte am Abend Katastrophenalarm ausgelöst. Dieser wurde am Samstagmittag wieder aufgehoben.

Fehmarn: Ein Todesopfer durch umstürzenden Baum

Auf der Insel Fehmarn kam am Freitagnachmittag eine 33 Jahre alte Frau auf einer Kreisstraße zwischen Burg und Puttgarden ums Leben. Für die schwer verletzte Person sei jede Hilfe zu spät gekommen, sagte Bürgermeister Jörg Weber (SPD). Ansonsten verlief die Nacht laut Polizei und Feuerwehr glimpflich - es gab keine Verletzten. In Lübeck gab es am Sonnabend noch zahlreiche Straßensperrungen in Travemünde und auf der Altstadtinsel - wegen Überschwemmungen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) ging davon aus, dass die Bewohner im Laufe des Tages wieder mit trockenen Füßen in ihre Häuser und Wohnungen kommen konnten. Einsatzkräfte waren stundenlang dabei, Wasser in den historischen Salzspeichern abzupumpen. Ansonsten war die Nacht in der Hansestadt laut Feuerwehr aber verhältnismäßig ruhig. In Heiligenhafen fiel zeitweise der Strom aus, weil die Stromkästen unter Wasser standen und in Heringsdorf im Kreis Ostholstein mussten ein Campingplatz und eine Ferienhausanlage wegen Hochwasser evakuiert werden.

Zehntausende Sandsäcke gegen das Wasser

Hilfskräfte verteilten Zehntausende Sandsäcke - dennoch waren die Feuerwehren oft im Einsatz, um Keller leerzupumpen und umgeknickte Bäume zu beseitigen. Vielerorts lag der Pegel am Freitag zwischen 1,70 und 2 Meter über dem mittleren Wasserstand. In Arnis im Kreis Schleswig-Flensburg mussten die Feuerwehrleute einen Deichabschnitt aufgeben - er drohte zu brechen. Gleiches galt für den Deich im Fischerdorf Maasholm. In Kappeln gab es einen Deichbruch auf einer Strecke von 40 Metern.

Im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein zeigte sich Schleswig-Flensburgs Landrat Wolfgang Buschmann (parteilos) beeindruckt von der "riesigen Hilfsbereitschaft" in Arnis. Rund 30.000 Sandsäcke hat der Kreis Schleswig-Flensburg bisher in allen Gemeinden verteilt. Bei Bedarf standen nach eigenen Angaben weitere 40.000 zur Verfügung.

Züge und Fähren fahren wieder

Am Freitagabend um 20 Uhr wurde der Bahnverkehr auf einigen Strecken eingestellt. Mittlerweile normalisiert sich der Zugverkehr in Schleswig-Holstein nach Angaben der Deutsche Bahn wieder. Auch auf den Linien RB75 zwischen Rendsburg und Kiel sowie RB72/73 zwischen Eckernförde und Kiel fahren wieder Züge - diese waren am Sonnabendmorgen zunächst noch eingestellt. Auch die Fähren im Land verkehren seit Sonnabendnachmittag wieder nach Plan.

Günther dankt Helfern

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther dankte am Freitag allen Sturmfluthelfern. Man sei als Land sehr gut aufgestellt, auch die Landesregierung habe einen Krisenstab eingerichtet, so der CDU-Politiker. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sprach den betroffenen Menschen in Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern am Freitag in Berlin seine Anteilnahme aus. Schleswig-Holsteins Landtagspräsidentin Kristina Herbst sagte am Samstagvormittag zu den dramatischen Folgen der Sturmflut und den Schäden an Infrastruktur und Wohnhäusern: "Hinter diesen Zahlen stehen viele einzelne Schicksale. Die Betroffenen selbst, die Menschen an der Ostsee, die Kommunen, Land und Bund - alle sind jetzt gleichermaßen gefordert, die dramatischen Schäden dieser Sturmflut schnellstmöglich zu beheben."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 21.10.2023 | 18:00 Uhr

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