Stand: 11.09.2018 14:25 Uhr

Korallen helfen Osteoporose zu erkennen

von Jennifer Lange

Was haben Ozeane und Osteoporose gemeinsam außer dem gleichen Anfangsbuchstaben? Schwer zu glauben, aber tatsächlich eine Menge. Denn sowohl Korallenriffe als auch unsere Knochen brauchen Kalzium, um stabil zu bleiben. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel haben ihr Wissen über Korallen auf das menschliche Knochenskelett übertragen und einen Test entwickelt, der frühzeitig Osteoporose erkennen kann, wie die NDR Info Perspektiven berichten.

Ein Aquarium mit Korallen am Geomar in Kiel. © NDR Foto: Jennifer Lange
Die Ähnlichkeit zwischen dem Korallenskelett und dem menschlichen Skelett brachte die Forscher auf eine Fährte.

Bei Osteoporose brechen die Knochen. Einfach so. Völlig überraschend. Am Oberschenkelhals oder an Wirbeln. Gut jede zweite Frau über 50 ist betroffen. Das liegt daran, dass in den Wechseljahren der Östrogenspiegel sinkt. Dadurch wird der Knochen porös. Viele kennen die Krankheit Osteoporose daher unter dem Begriff Knochenschwund. Michael Müller ist Orthopäde am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Er operiert vor allem Patienten mit Brüchen an der Wirbelsäule. "Osteoporose zählt zu den zehn wichtigsten Volkskrankheiten", erklärt er "Man musste feststellen, dass in Deutschland circa sieben Millionen Patienten an Osteoporose leiden."

Früherkennung der Krankheit ist entscheidend

Ein Problem ist, dass Osteoporose häufig zu spät erkannt wird. Meist erst dann, wenn bereits mehrere Knochen gebrochen sind. Um Osteoporose zu diagnostizieren, werden Wirbelsäule oder Hüftknochen geröntgt. Die Strahlung ist belastend für den Körper. Kam es bei Mutter oder Vater im Alter häufig zu Knochenbrüchen, hat man als Kind ebenfalls ein erhöhtes Risiko an Osteoporose zu erkranken. Daher ist es wichtig, Osteoporose früh zu erkennen. Dann kann man noch gegensteuern und präventive Maßnahmen ergreifen. Forscher am Geomar, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, haben so einen Frühtest entwickelt. Schädlichen Röntgenstrahlen muss man sich dafür nicht mehr aussetzen. Alles dank der Korallenforschung.

Korallenskelett ähnelt menschlichem Skelett

Anton Eisenhauer untersucht Proben in einem Labor des Helmholtz Zentrums. © Geomar
Anton Eisenhauer ist Geologe am Geomar und wissenschaftlicher Leiter von Osteolabs.

Damit beschäftigt sich Anton Eisenhauer. Sein Arbeitsplatz: ein fensterloser Raum mit zwei Aquarien. Im Wasser sind rote, grüne, gelbe und lila Korallen. Eisenhauer nennt es auch das größte Korallenriff Norddeutschlands. "Wir züchten hier Korallen verschiedener Arten und nehmen dann Korallenpolypen ab, die wir dann weiterverarbeiten oder damit chemische Experimente durchführen." Bei diesen Experimenten ist ihm auch die Ähnlichkeit zwischen dem Korallenskelett und dem menschlichen Skelett aufgefallen. "Die Austauschprozesse zwischen Meerwasser und Korallen sind ungefähr die gleichen wie wir sie auch beim Menschen zwischen Skelett und Blut haben, weil die Korallen auch ein Korallenskelett bilden und dabei ein Element einbauen, nämlich Kalzium, das wir in den Korallen kennen, aber eben auch in den menschlichen Skeletten."

Diagnose über Blut oder Urin

Eine Grafik zeigt den Unterschied zwischen einer normalen und einer geringen Knochendichte. © Geomar
Eine Grafik zeigt den Unterschied zwischen normaler und geringer Knochendichte.

Das Kalzium hält das Skelett stabil. Acht Jahre lang hat Eisenhauer mit Wissenschaftlern, Medizinern und Physikern Messungen und Studien durchgeführt. Und eine völlig neue Diagnosemethode für Osteoporose entwickelt: "Die Idee ist, dass wir gar keinen Knochen brauchen, sondern wir nehmen entweder Blut oder Urin, um eine Aussage über den Status der Osteoporose in einem Menschen machen zu können."

Viel Kalzium im Blut weist auf Osteoporose hin

Anton Eisenhauer streift sich einen grünen Schutzanzug über, setzt sich eine Haube auf den Kopf und geht ins Labor. Hinter einer Glasscheibe, unter einer Art Abzugshaube, stehen viele schmale Röhrchen. "Das Gelbe, was Sie da sehen, das sind Urinproben, die wir gerade untersuchen." Ein Roboterarm fährt eine Nadel in eines der Röhrchen. Saugt die Lösung an. Die Probe wird gereinigt, auf Temperaturen wie auf der Oberfläche der Sonne erhitzt und dann in seine Bestandteile zersetzt. "Dann haben wir hier ein starkes elektrisches Feld. Dort werden die Ionen beschleunigt und über verschiedene Prozesse dann gefiltert und gemessen." Heraus kommt, wie hoch der Kalziumanteil im Blut ist und woher das Kalzium stammt. "Osteoporose bedeutet ja, dass Kalzium aus dem Knochen kommt." Sprich, dass sich der Knochen auflöst.

Der erste Osteoporose-Test, der ohne Röntgen auskommt

Stefan Kloth vermarktet das neue Produkt für das Kieler Forschungsinstitut. Er erklärt, der Test funktioniert auch bei Jüngeren. "Das ist ein Frühtest, das heißt wir können sehr früh gucken, ob jemand Osteoporose haben wird oder nicht. Wir sind hundertmal empfindlicher als bestehende Tests und wir brauchen keine Röntgenstrahlung."

Aquarien mit Korallen am Geomar in Kiel. © NDR Foto: Jennifer Lange
AUDIO: Korallen helfen Osteoporose zu erkennen (6 Min)

Bislang zahlen Krankenkassen den Test nicht

Die Verpackung des Osteoporose -Tests der Osteolabs in Kiel. © Geomar
Der Test liegt schon in marktfertiger Form vor - jetzt fehlt nur noch die Zulassung durch die Krankenkassen.

Der Patient bekommt das Testergebnis in Form einer Ampel angezeigt. Rot bedeutet, er hat Osteoporose, grün, er ist gesund. Bisher kostet der Test knapp 300 Euro. In fünf bis zehn Jahren sollen es nur noch 50 Euro sein. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten bisher nicht. Doch das soll sich ändern. Die Forscher rechnen mit einer Krankenkassen-Zulassung in fünf Jahren. Anton Eisenhauer hofft, dass die frühe Diagnose Patienten hilft, den Ausbruch der Krankheit hinauszuzögern.

"Das Einfachste ist immer, die Lebensgewohnheiten zu ändern. Wer Sport macht, hat schon die Chance, nicht an Osteoporose zu erkranken." Patienten könnten auch ihre Ernährung umstellen, Vitamin D und Kalziumpräparate nehmen, erklärt er.

Hoffnung auf Entlastung des Gesundheitssystems

Die Entscheidung, aus der Meeresforschung in die Humanmedizin zu wechseln, sei ihm nicht leicht gefallen. "Ich habe mich dazu entschieden, weil wir mit dieser Methode der Gesellschaft etwas zurückgeben können. Die Meeresforschung ist ja doch eher theoretisch und wissenschaftlich. Mit einer konkreten Anwendung in der Humanmedizin können wir der Gesellschaft etwas zurückgeben, für die vielen finanziellen Mittel, die wir letztendlich in der Meeresforschung verbrauchen." Und selbst wenn sein Team nur einen kleinen Teil der Osteoporose-Diagnostik vereinfachen könne, werde er dem Gesundheitssystem wahrscheinlich viele Millionen, wenn nicht Milliarden Euro Kosten ersparen. "Und das ist ein Gewinn für uns alle."

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Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 15.09.2018 | 15:29 Uhr

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