Nach der Sturmflut in Arnis: "Für uns fällt Weihnachten aus"

Stand: 23.12.2023 05:00 Uhr

In Arnis (Kreis Schleswig-Flensburg) sind viele Menschen nicht in Weihnachtsstimmung. Sie kämpfen um ihre beschädigten Häuser und finanzielle Hilfe nach der Ostsee-Sturmflut. Doch es gibt auch Mutmacher.

von Jochen Dominicus

Kerstin Rosinke blickt hoffnungsvoll auf die quadratischen Entfeuchter auf dem Küchenboden. Seit rund vier Wochen laufen die jetzt schon. Die kühlboxgroßen stromfressenden Entfeuchter stehen im Wohnzimmer, der Küche und im 60 Quadratmeter großen Keller. Hier stand vor acht Wochen elf Tage lang überall das Wasser.

Entfeuchter wohl noch drei Monate im Einsatz

Eine Frau auf der Baustelle ihres Hauses. © NDR
Kerstin Rosinke leert aktuell jeden Tag die Tanks der Bautrockner in ihrem Haus in Arnis. Es geht nur langsam voran.

Erst wenn die Feuchtigkeit aus Mauerwerk und Boden raus ist, können die eigentlichen Arbeiten an Elektrik und Wänden beginnen. Kerstin Rosinke glaubt, dass die Entfeuchter noch rund drei Monate Tag und Nacht laufen müssen. Dreimal am Tag muss sie an allen zehn Geräten die Wassertanks leeren. Sie leitet eigentlich die Bücherei in Kappeln (Kreis Schleswig-Flensburg), hat aber im Moment Urlaub und kümmert sich ums Haus.

Aufräumarbeiten nach der Sturmflut gehen langsam voran

Bei dem Jahrhunderthochwasser brach in Arnis der Deich auf einer Länge von 40 Metern. Die immense Gewalt der Sturmflut drückte am 20. Oktober das Wasser durch Mauerwerk und Fenster in viele Häuser in der Region. Ganze Straßenzüge und viele Häuser wurden überflutet. Die werden jetzt nach und nach wieder instand gesetzt.

"Stand jetzt ist das Haus immer noch unbewohnbar"

Aber es dauert, sagt Kerstin Rosinke und steht in ihrem Haus, das einer großen Baustelle gleicht. Wohnen kann sie hier im Moment nicht. "Der aktuelle Stand ist bei uns tatsächlich: Das Haus ist unbewohnbar." Die Feuchtigkeitswerte seien immer noch viel zu hoch - auch nach knapp drei Wochen Entfeuchten.

Also wir hatten letzte Woche eine Messung, da standen die Geräte schon drei Wochen drin. Und was hat der Techniker gesagt? Das Messgerät habe einen Wert bis 200 mehr geht nicht, und wir haben 190.”, so Kerstin Rosinke.

Geschätzter Schaden: 200.000 Euro

Bevor die Flut kam, hatten Kerstin Rosinke und ihr Freund gerade erst ihr Haus in Arnis instand gesetzt, eine neue Küche eingebaut und neue Möbel gekauft. Die Flut hat das alles zerstört. Der Schaden: Rund 200.000 Euro, schätzt sie. Ob die Versicherung zahlt, ist noch völlig offen.

Ein Mann auf seiner Haus Baustelle. © NDR
Anwohner Ralf Timm musste Mauern seine Hauses nach der Flut erneuern - ein Stimmungskiller.

Ein Rechtsanwalt in Arnis unterstützt aktuell Betroffene und prüft unentgeltlich, ob die Versicherung zahlen muss. Im Moment wohnt Kerstin Rosinke in einer Ferienwohnung einer Bekannten. Sie und ihr Freund haben sich dort eingerichtet - so gut es geht.

Wieder-Einzug im Frühjahr oder Sommer geplant

Der Wunsch nach Normalität ist in Arnis groß - geben wird es sie aber noch lange nicht. Weihnachten ist für Kerstin Rosinke derzeit überhaupt kein Thema. “Man kommt nicht in die Stimmung und es ist auch manchmal schwer auszuhalten, die Stimmung." Sie und ihr Freund hoffen auf eine Rückkehr in ihr Haus im Frühjahr oder Sommer. Und dass sie doch noch finanzielle Hilfe vom Bund oder Land bekommen.

Anwohner: "Wir merken nicht, dass es draußen weihnachtet"

"Für uns fällt Weihnachten komplett aus", sagt Nachbar Ralf Timm. Auch ihn hat es hart getroffen. Täglich arbeitet er auf dem "Bau", wie er sein Haus im Moment nennt. Die Flut hat auch sein Hab und Gut zerstört. "Wir merken das gar nicht, dass es da draußen weihnachtet."

Plötzlich waren zwei Kerzen da, "Alles wird gut" steht an der Wand

Kerz auf einer Fensterbank. © NDR
Diese Kerze auf der Baustelle hat Ralf Timm nicht selbst aufgestellt. Sie war einfach irgendwann da.

Auf dem Fensterbrett brennen zwei kleine Kerzen, mehr Weihnachten ist bei Ralf Timm nicht drin. Und selbst die beiden hat er nicht selbst besorgt. "Eines Morgens standen da zwei Kerzen und flackerten vor sich hin", erzählt Timm. "Es war also irgendjemand vor mir da und hat sie dahin gestellt." Das seien Kleinigkeiten, die Mut machten: Zuletzt habe jemand "Alles wird gut" an seine Wand geschrieben.

Am 24. Februar soll das Haus einzugsfertig sein. Er brauche ein definitives Ziel, und das sei gut für positive Gedanken, sagt er. Und natürlich hofft er auch weiterhin finanzielle Unterstützung von Bund und Land. Seine Versicherung wird den Schaden wohl nicht übernehmen.

Solidarität ist weiter sehr groß

In einer Kirche singt ein Chor © NDR Foto: Jochen Dominicus
In der Schifferkirche in Arnis fand ein Konzert zugunsten der Flutopfer statt - 1.000 Euro kamen allein dort zusammen.

Dass es zumindest finanziell für die Betroffenen etwas besser wird, dafür sorgte ein Spenden-Chorkonzert in der Schifferkirche in Arnis. "Das ist so ein Weihnachten, das wir bisher so noch nicht erlebt haben", sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Michelle Diekmann. "Trotz dieser schweren Zeit haben wir immer noch einen wahnsinnigen Zusammenhalt. Und das gibt uns natürlich Hoffnung."

Rund 1.000 Euro sind an diesem Konzert-Abend zusammengekommen. Der gesamte Spendentopf in Arnis für die Flutopfer ist aktuell mit mehr als 300.000 Euro gefüllt. Und es werde jetzt kurz vor Weihnachten täglich mehr, so die Stadtvertretung.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 21.12.2023 | 19:30 Uhr

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