Brokstedt: Touré und BAMF kritisieren Hamburger Justiz
In Schleswig-Holstein hat sich am Mittwoch der Innen- und Rechtsausschuss des Landtags mit der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug in Brokstedt befasst. Dabei wurde der Hamburger Justiz vorgeworfen, die Behörden in Kiel nicht ausreichend informiert zu haben.
Nach der tödlichen Messerattacke in Brokstedt haben Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) und ein Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) scharfe Kritik an der Hamburger Justiz geübt. Im Innen- und Rechtsausschuss warfen sie den Behörden vor, die Ausländerbehörde Kiel nicht über die U-Haft des späteren mutmaßlichen Täters Ibrahim A. informiert zu haben. Dadurch seien Verfahren, die einer möglichen Abschiebung vorausgehen, behindert worden.
FDP spricht von Behördenversagen
Der Innen- und Rechtsausschuss hatte von der schwarz-grünen Landesregierung einen Bericht zu der Attacke am vergangenen Mittwoch eingefordert. Dafür waren auch Informationen vom BAMF und der Zuwanderungsabteilung der Stadt Kiel vorgelegt worden. Dabei wurde deutlich, dass den Behörden offenbar Angaben gefehlt hatten, insbesondere aus der Zeit, als der mutmaßliche Täter in Hamburg in U-Haft saß. Es sei beklemmend zu erfahren, dass anscheinend notwendige Informationen zwischen Justizbehörden und BAMF nicht geflossen seien, sagte der innenpolitische Sprecher der FDP- Fraktion, Bernd Buchholz. Zwar können man nicht mit Sicherheit sagen, ob die Messerattacke hätte verhindert werden können. Er sprach in diesem Zusammenhang jedoch klar von Behördenversagen.
SPD: Kommunikationsfehler aufarbeiten
Auch der Sprecher der SPD für innere Sicherheit, Niclas Dürbrook sagte, es bleibe eine hypothetische Frage, ob die Tat ohne die Kommunikationsfehler hätte verhindert werden können. Mögliche Versäumnisse müssten schnell aufgeklärt werden. "Noch liegen in Schleswig-Holstein nicht alle Akten vor, um ein vollständiges Bild zu erhalten, was insbesondere den Verlauf und die Entlassung aus der U-Haft betrifft", so Dürbrook.
BAMF: Schutzstatus sollte aberkannt werden
Der Hintergrund: Ibrahim A. wurde in Deutschland subsidiärer Schutz gewährt. Im Juli 2021 meldete die Ausländerbehörde Kiel dem BAMF, dass Ibrahim A. bereits mehrfach straffällig geworden war und regte ein sogenanntes Rücknahmeverfahren an. Es sollte also geprüft werden, ob ihm der Schutzstatus aufgrund der Straffälligkeit wieder aberkannt wird. Nachdem das BAMF dieses Verfahren eingeleitet hatte, versuchte die Behörde ab November 2021 mehrfach, Ibrahim A. zu erreichen. Der wurde in diesem Zeitraum aber aus einer Gemeinschaftsunterkunft in Kiel verwiesen und war wohnungslos. Nach Angaben des BAMF lagen drei verschiedene Adressen, etwa bei der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Männer vor, verschickte Briefe seien aber immer zurückgekommen. Ab Januar 2022 saß A. dann in Hamburg in U-Haft. "Hätten wir Kenntnis von der Untersuchungshaft in Hamburg gehabt, wäre es leichter gewesen an A. heranzukommen", sagte ein BAMF-Vertreter im Ausschuss.
Ausländerbehörde in Kiel nicht vollständig informiert
Die Behörden in Kiel wurden nach eigenen Angaben auch nicht darüber Informiert, das A. in Hamburg eine schwere Körperverletzung begangen hatte und deshalb vor Gericht stand. Somit habe die Ausländerbehörde diese Informationen auch nicht an das BAMF weitergeben können. "Festzustellen ist, dass laut Ausländerakte Mitteilungen der Strafverfolgungsbehörden der Stadt Hamburg an die Ausländerbehörde in Kiel im Jahr 2022 laut Aktenlage zumindest nicht vollständig erfolgt sind", sagte Sozialministerin Touré. "So sind weder Hinweise auf die Einleitung des Strafverfahrens, das getroffene Urteil vom 18. August 2022 Bestandteil der Ausländerakte und konnten somit auch nicht in die weitere Entscheidungsfindung einfließen."
Touré sprach sich für eine schnellere, bessere und stärkere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden aus. Man müsse sich aber auch der Selbstkritik stellen, ob man aus Schleswig-Holstein stärker hätte nachfragen müssen.
CDU: Schwerwiegende Fehler der Behörden
Für den schleswig-holsteinischen CDU-Innenpolitiker Timo Brockmann ist klar, dass "in der Vergangenheit in Nordrhein-Westfalen und Hamburg schwerwiegende Fehler im Umgang mit Ibrahim A. und seinem Schutzstatus gemacht wurden." Es müsse aufgeklärt werden, warum bestimmte Meldungen nicht gemacht worden seien. Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) sagte ebenfalls, man müsse diskutieren, ob die Regelungen zum Informationsaustausch zwischen den Behörden verbessert werden müssen.
Unklar, ob Abschiebung umsetzbar gewesen wäre
Unklar ist allerdings, ob es zu einer zeitnahen Abschiebung des Mannes gekommen wäre, wenn das BAMF und die Behörden in Kiel von der U-Haft gewusst hätten. Denn erstens wird nicht bei jeder Straftat direkt der Schutzstatus entzogen. Zweitens wäre im Fall von Ibrahim A. zunächst nicht geklärt gewesen, in welches Land man ihn hätte bringen sollen. Der Mann hatte sich bei seiner Einreise aus Gaza nach Deutschland im Jahr 2014 als staatenloser Palästinenser vorgestellt. Die Staatenlosigkeit wurde aber durch keine Behörde in Deutschland offiziell festgestellt. Das bestätigten das BAMF und Sozialministerin Touré. A. habe deshalb eine ungeklärte Staatsangehörigkeit gehabt.
Touré: Straftäter ausweisen - aber keine Vorverurteilung
Ausländische Straftäter, die mehrfach in Erscheinung treten, müssten unverzüglich ausgewiesen werden, betonte Touré. "Wir müssen einen Fokus darauf setzen, dass bei denjenigen, die straffällig geworden sind, schnell Rückführungen und Verfahren stattfinden. Dennoch dürfe es keine vorschnellen Verurteilungen und falsche Verdächtigungen geben. Sütterlin-Waack sagte, es müsse bundeseinheitliche Standards für die Einstufung von Tätern als Mehrfach- oder Intensivtäter geben.
Als weitere mögliche Konsequenz der Tat sprach sich Sütterlin-Waack für eine Videoüberwachung in Zügen und auf Bahnhöfen aus. Zudem solle geprüft werden, ob in Zügen ein Knopf für einen sogenannten stillen Alarm eingerichtet werden könnte. Außerdem solle geprüft werden, ob auch Polizisten in Zivil künftig kostenlos Bahn fahren dürfen.
Hamburger Bürgerschaft diskutiert ebenfalls
Gleichzeitig mit dem Innen- und Rechtsausschuss in Schleswig-Holstein beschäftigte sich am Mittwoch auch die Hamburger Bürgerschaft mit dem Thema. Die AfD hatte den Punkt für die Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei erhoben CDU, AfD, FDP und Linke schwere Vorwürfe gegen die Hamburger Justizbehörde unter Senatorin Anna Gallina (Grüne). Hier ging es vor allem um die Entlassung des mutmaßlichen Täters aus der U-Haft wenige Tage vor der Attacke in Brokstedt. Nach Angaben der Justizbehörde hatte ein Gutachter keine Anzeichen für Selbst- oder Fremdgefährdung festgestellt. A. soll während der U-Haft allerdings auffällig gewesen sein.
Die Linken-Abgeordnete Cansu Özdemir verwies in diesem Zusammenhang auf den Mangel an psychologischer Behandlung im Strafvollzug, Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) sprach von einem Entlassungsloch. Senatorin Gallina müsse sich nun unangenehmen Fragen stellen und Antworten liefern, sagte Dennis Thering von der CDU. Gallina selbst sagte, es sei berechtigt, dass viele Menschen nun die Frage stellten, ob die Tat hätte verhindert werden können. Man müsse sich nun Zeit nehmen, den Sachverhalt aufzuarbeiten. Sie betonte, dass in Bezug auf die U-Haft alle Vorgaben eingehalten worden und Ibrahim A. Hilfsangebote unterbreitet worden seien. Die konkrete Aufarbeitung soll am Donnerstag im Hamburger Justizausschuss beginnen.