Lübecker Altstadt-Brücken mit Problemen: Status "Neubau überfällig"
Von sieben Straßenbrücken in die Lübecker Altstadt sind sechs marode - sie stammen zum Teil noch aus dem 19. Jahrhundert. Die Planung von Neubauten muss immer wieder verschoben werden. Das hat vor allem einen Grund.
Viel Autoverkehr, schwere Lkw und eine Einsatzzeit von weit über 100 Jahren: Für das, was die Brücken in die Lübecker Altstadt aushalten müssen, waren sie eigentlich nicht gedacht. "Die Lasten waren andere", sagt die Leiterin der Abteilung Brückenbau in Lübeck, Ulrike Schölkopf. Die Bauwerke sind überstrapaziert - mindestens für Fachleute ist das klar zu sehen. Schölkopf würde am liebsten alle Brücken sofort sanieren oder neubauen, doch es fehlt Personal. Von fünf Stellen für Brückenbauingenieure sind in Lübeck zwei unbesetzt, eine schon seit drei Jahren. In den nächsten 15 Jahren gehen 40 Prozent der Lübecker Verwaltungsmitarbeiter in Rente. Trotz Anzeigen, Berufsmessen und Social Media bleibt der Einstellungserfolg aus, so Schölkopf.
Und der Rückstand bei Instandsetzungen wächst. "Die Brücken werden nicht besser, die werden eher schlechter. Wenn die Schäden erstmal da sind, dann verschlechtern sie sich", erklärt Schölkopf. Wie groß ist das Problem, lässt sich am besten im Detail erklären. Drei Beispiele:
Marienbrücke: Planung für den Neubau dauert zwölf Jahre

Die 175 Meter lange Marienbrücke ist eine der wichtigsten in Lübeck. Sie verbindet den Stadtteil Sankt Lorenz Nord im Westen der Stadt mit der Altstadtinsel. Teile des Brücken-Betons platzen ab. "Das legt Stahlteile in der Brücke frei, die korridieren, dehnen sich aus und lassen den Beton weiter abplatzen", erklärt Schölkopf.
Die Planungen für einen Neubau sollten eigentlich schon im vergangenen Jahr starten, liegen aber auf unbestimmte Zeit auf Eis. "Die Planungsphase dauert zwölf Jahren. Bis dahin müssen wir die Brücke nochmal sanieren, das kostet Hunderttausende Euro. Ohne Fachkräftemangel könnten wir das sparen", berichtet Schölkopf. Die neue Marienbrücke zu planen, dauere deshalb so lang, weil viel abgesprochen werden müsse. Denn während des Baus müssen Strom, Gas und Wasserleitungen in Betrieb bleiben, die über die Brücke führen. "Wir sprechen mit Stadtwerken, Bahn und Hafenbehörde, da die Brücke über Gleise und den Stadtgraben führt."
Burgtorbrücke rostet: Seit über 25 Jahren ist ein Neubau fällig
Im Norden der Stadt gehört die 1898 gebaute Burgtorbrücke zu den wichtigsten Querungen. Sie verbindet Lübecks Norden mit der Altstadtinsel. Aktuell ist sie dort die einzige befahrbare Brücke. Mit einer erwarteten Lebensdauer von 100 Jahren hat die 210 Meter lange Brücke ihren Dienst mittlerweile längst erfüllt. Die Stahlkonstruktion rostet. "Auch wenn grundsätzlich alle Lübecker Brücken sicher sind, beeinträchtige das mit der Zeit die Standfestigkeit", erklärt Schölkopf. Neubaupläne verzögern sich wegen Fachkräftemangels. Dieses Jahr könnte es losgehen.
Hüxtertorbrücke: Keine Fachkräfte, kein Neubau
Die 52 Meter lange Hüxtertorbrücke verbindet den Osten Lübecks mit der Altstadtinsel. Auch hier rostet die Stahlkonstruktion. Neubaupläne ruhen wegen Fachkräftemangels. Lübecks Problem: Wird eine Brücke saniert oder neugebaut, ist die nächste Brücke längst überfällig. "Wir müssen priorisieren und schauen wo die Probleme gerade am größten sind."
Fachkräftemangel in ganz Schleswig-Holstein
Lübeck ist nicht allein mit dem Problem maroder Brücken: "Insgesamt überrascht mich das nicht", erklärt Jörg Bülow, geschäftsführendes Vorstandsmitglied vom Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag. Gerade bei Ingenieuren gebe es schon seit vielen Jahren einen harten Konkurrenzkampf um Fachkräfte mit der Wirtschaft. Baufirmen würden oft mehr bezahlen als Kommunen. "Die haben auch volle Auftragsbücher und suchen händeringend nach Ingenieuren", berichtet Bülow. Das Problem weite sich jetzt immer mehr aus: einen Mangel gebe es inzwischen auch bei vielen einfachen Jobs in der Verwaltung, so Bülow.
Kaputte Brücken im ganzen Norden
Nach Recherche des NDR Magazins Panorama 3 berichten auch viele andere Kommunen im Norden von einem Fachkräftemangel in der Verwaltung. Das wirkt sich auf Straßen und Brücken aus. Brücken müssen in regelmäßigen Abständen von einem Sachverständigen geprüft und in Zustandsklassen eingeteilt werden. Der Zustand ist bei fast einem Drittel der Bauwerke gerade noch ausreichend. Rund zwölf Prozent der Brücken gelten als "nicht ausreichend" oder "ungenügend" und sind damit in einem schlechten Zustand. Der Grund: Früher wurden Brücken für ganz andere Lasten gebaut.
Streusalz lässt Stahl korrodieren
Insbesondere durch den wachsenden Lkw-Verkehr sind Brücken immer stärkeren Belastungen ausgesetzt. "Die Spannbetonbrücken beispielsweise sind auch nicht so leistungsfähig und dauerhaft, wie wir dachten. Und durch den Einsatz von Streusalz in den 1970er- und 1980er-Jahren wurden auch die Bewehrungsstähle wesentlich stärker angegriffen als erwartet“, erklärt Wulf-Holger Arndt von der TU Berlin. Der Wissenschaftler hat die Panorama 3 Recherchen unterstützt.
Brückenbau in Lübeck attraktiver Job
Dass Schölkopf trotz des Fachkräftemangels nicht mehr Bewerbungen auf ihre Ingenieursstellen bekommt, wundert sie. Brückenbau in der Hansestadt sei eigentlich ein toller Job, meint Schölkopf.
„Wir haben Brückenbauwerke jeden Alters, wir haben denkmalgeschützte Brücken, wir haben Brücken über Wasser, über Gleise, wir haben Brücken mit besseren Zuständen, mit ganz schlechten Zuständen. Ingenieure betreuen das Bauwerk von der ersten Idee, bis zur Fertigstellung. Das ist wahnsinnig spannend und aufregend.“ Ulrike Schölkopf, Abteilungsleitung Brückenbau Stadt Lübeck
Zudem biete die Stadt verschiedene Arbeitszeitmodelle: Teilzeit und Gleitzeit. Es gebe eine betriebliche Altersvorsorge. Die Stadt bemühe sich auch früh um Fachkräfte: Die Brückenbau-Abteilung nehme Praktikanten und auch Studierende, die zum Beispiel eine Bachelorarbeit schreiben wollen.
