Langwierige Prozesse: Ohnmacht vor Gericht
Warten auf ein Urteil - seit über acht Jahren. So geht es Bernd Bei aus Brunsbüttel. Er wurde Opfer eines schweren Verkehrsunfalls: Ein Auto erfasste ihn. Er landete auf der Motorhaube, doch der Fahrer hielt nicht an. Er schleuderte vom Wagen und schlug mit dem Kopf auf dem Bordstein auf. Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma war die Folge. Womöglich wird er sich davon nie wieder vollständig erholen. Das ist nun neun Jahre her. Bernd Bei fordert Schadensersatz. Doch das Gericht findet einfach kein endgültiges Urteil.
Ungewissheit und Warten
Die Ungewissheit und das Warten ist eine Qual für Bernd Bei. Denn die Dauer seines Prozesses ist tatsächlich außergewöhnlich. An einem Landgericht dauern Prozesse in der Regel weniger als ein Jahr. Die Bürger haben schließlich ein Recht auf ein zügiges Urteil.
"In einem Rechtsstaat darf es grundsätzlich keine überlangen Prozesse geben. Das widerspricht dem Rechtstaatsprinzip, das garantiert, dass Prozesse auch in angemessener Zeit abgewickelt werden. Aber es ist eine Binsenweisheit, dass das, was nicht passieren darf, eben doch passiert", so Christian Kirchberg von der Bundesrechtsanwaltskammer.
Die Bundesrepublik Deutschland wurde deshalb schon mehr als 40 Mal vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. 2011 einigten sich die Politiker dann endlich auf ein Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren. Das Gesetz sieht eine Entschädigung für Prozessbeteiligte vor, wenn ihr Verfahren unangemessen lange dauert. Dazu müssen die Verfahrensbeteiligten das Gericht wegen der langen Dauer rügen. Wird eine unangemessene Dauer des Verfahrens festgestellt, haben die Beteiligten Anspruch auf eine Entschädigung.
"Das neue Gesetz gibt keine Möglichkeiten, Verfahren konkret zu beschleunigen. Man kann nur darauf hoffen, dass man im Nachhinein möglicherweise eine Entschädigung für diese überlange Verfahrensdauer erhält. Und das halte ich für absolut unzureichend", kritisiert Jurist Christian Kirchberg. Die Bundesrechtsanwaltskammer hätte eine vorbeugende Lösung des Problems bevorzugt, eine Kombination aus Untätigkeitsbeschwerde und Entschädigung. Andere EU-Länder machen es vor, dort dürfen höhere Gerichte eingreifen, wenn ein Verfahren zu lange dauert.
Angriff auf Unabhängigkeit der Richter?
Doch dies wird von Richtern und auch vom Bundesjustizministerium als Angriff auf die Unabhängigkeit der Richter gewertet und deshalb abgelehnt. Wegen dieser verfassungsrechtlichen Unabhängigkeit haben Richter in Deutschland nicht einmal festgelegte Arbeitszeiten - ein Eingriff bei langen Verfahren durch eine höhere Instanz erscheint da tatsächlich als ein großes Vorhaben.
Doch auch die Bürger haben Rechte: "Ich bin der Meinung, dass die Unabhängigkeit der Gerichte ein sehr hohes, auch verfassungsrechtlich geschütztes Gut ist. Aber es muss abgewogen werden. Und ich bin der Meinung, dass in diesem konkreten Fall der Anspruch des Einzelnen auf den effektiven Rechtsschutz Vorrang gehabt hätte", so Kirchberg. Dieser Meinung sind die Opfer überlanger Prozesse sicher auch.