Kolumne: Hautsache schön
Botox, Filler, Schönheits-Ops - die Methoden der Selbstoptimierung sind vielfältig. Das Ziel: jung bleiben - oder zumindest so aussehen. Unsere Kolumnistin fragt sich: Was steckt hinter diesem Trend? Am Ende gar die Angst vor dem Tod?
Ich will von ganz vorne beginnen. Systematisch betrachtet ist der Mensch ein Wirbeltier, das zur Klasse der Säugetiere und zur Ordnung der Primaten gezählt wird. Das bedeutet, genau wie jedes andere Tier sind wir der unweigerlichen Ordnung unserer irdischen Existenz unterworfen. Kurzum: Werden, wachsen, blühen, welken und vergehen, der Kreislauf des Lebens, das ewige Gesetz der Natur.
Weil wir aber nie mit dem zufrieden sind, was wir haben - ehemals evolutionärer Vorteil, heute einfach nervig - können wir diesen Fakt immer weniger akzeptieren. Vor allem das mit dem Welken und Vergehen führt zu immer absurderen Trends - selbst bei Menschen in voller Blüte. Vollere Lippen und glattere Haut, die Lebenszeit optisch zurückdrehen - nur eine Nadelspitze entfernt, vermeintlich.
Eine faltenfreie Grauzone
Und natürlich ist das alles nicht neu. Auch früher war jung und schön in. Aber zumindest glaube ich, dass meine Eltern sich nicht bereits mit Mitte 30 gefragt haben, ob sie damit anfangen sollten, sich ein Nervengift spritzen zu lassen, weil es angeblich "die beste Prophylaxe" gegen Falten sei - wie selbst ernannte Beauty-Docs proklamieren. Nicht nur verdienen sich viele Fachärzte aus anderen Bereichen durch Schönheitseingriffe Geld dazu, "Schönheitschirurg" ist keine geschützte Berufsbezeichnung.
Sogar Heilpraktiker dürfen dem Gesetz nach Falten unterspritzen, ihre Ausbildung können sie online machen. Dabei können Botox- oder Hyaluron-Spritzen zur Faltenreduzierung zu unangenehmen Komplikationen führen. Und teuer ist es zudem: rund 250 Euro nimmt beispielsweise eine Praxis in Kiel für eine Botox-Behandlung, die dann nur in etwa drei Monate hält.
Am Anfang war das Foto
Die Werbung dafür wird jedenfalls in den sozialen Netzwerken immer aggressiver, was vermutlich daran liegt, dass dies die Orte sind, die diese Eingriffe überhaupt erst befördern: Wer einmal ein Selfie mit Foto-Filter bearbeitet hat, mag sich danach im Spiegel kaum mehr anschauen. Vor allem aber ist die "real-life"-Retusche mittels Botox oder Hyaluron so verfügbar und scheinbar normal. Dazu dieses Gefühl, die Zeit anzuhalten - kurz auf dem Weg gen Tod "Pause" zu drücken.
Ein Kick - am Ende jedoch ein Teufelskreis, von dem dann primär die geldhungrigen "Beauty Docs" mit Spritze und Skalpell in der Hand profitieren. Männer wehren sich übrigens genauso zornig gegen ihre Zornesfalten:Der neueste Trend heißt "Brotox". Auch ihnen soll nicht mehr nur der Spiegel, sondern bitteschön das ganze Netz sagen: "Du bist der Schönste im ganzen Land!".
Alles hat ein Ende...
"Ach, wie bald, ach wie bald, schwindet Schönheit und Gestalt!", fand Märchendichter Wilhelm Hauff vor über 200 Jahren. Und Seelenheil finden Mittdreißiger wie ich wohl, anstatt in der Beauty-Klinik, am ehesten an unseren Stränden im Sommer. Hier frönen tief zufriedene und zerfurchte, von der Sonne und dem Leben gegerbte (oder gezeichnete) Menschen in ihren Strandkörben friedlich ihrer Lektüre.
Die Körper oft kaum bedeckt, sehe ich hier eine Zukunftsversion meiner selbst. Mit praller Straffheit hat das zwar nichts mehr zu tun, aber irgendwie scheint ihnen das egal. In Würde altern bedeutet wohl, sich unabhängig zu machen von seiner irdischen Hülle, die einfach verwelken muss. Ohne Tot kein Leben. Ohne Vergehen kein Werden. Amen. Nun gut, Geld sparen werde ich mit dieser Einstellung auf jeden Fall.