Klimaneutral bis 2030 - kann Preetz das schaffen?
Vor vier Jahren hat die Stadt Preetz die Absicht verkündet, bis 2030 klimaneutral werden zu wollen. Ein Blick auf den aktuellen Stand zeigt: Der Teufel steckt im Detail.
Klimaneutralität, nachhaltige Wärme, Mobilitätswende - das sind Begriffe, die im aktuellen Energiewende-Kontext oft genutzt werden. Doch Konzepte dazu vom Papier in die Realität zu bringen, ist alles andere als einfach. Das erlebt gerade auch Tim Brockmann (CDU), Bürgermeister von Preetz. Bis 2030 will die Stadt klimaneutral werden - das hat sie 2019 beschlossen. Die Konzepte dafür stehen, doch tatsächlich passiert ist bisher noch wenig. "Ob wir 2030 das Ziel zu 100 Prozent erreicht haben, da bin ich mir nicht sicher. Aber wir haben dieses Ziel vor Augen", erzählt Brockmann in seinem Büro im Preetzer Rathaus.
Vor dem Bürgermeister liegen Papierordner mit verschiedenen Unterlagen zu den Projekten, hinter ihm hängt eine Karte von Preetz. Auf einem Bildschirm gegenüber sind auf einer anderen Karte die Quartiere eingezeichnet, in die die Stadtverwaltung Preetz unterteilt hat. "In der Theorie sind wir gut davor. Die Herausforderungen kommen, wenn es in die Praxis geht."
Viele Akteure im Spiel - zum Beispiel für Verkehr und Wärmeversorgung
Die Herausforderungen liegen, so Brockmann, in den vielen Fäden, die zusammenkommen müssen. Da sind andere Akteure, die mit ins Boot geholt werden müssen. NAH.SH bei Fragen des Regionalverkehrs. Die Deutsche Bahn bei Bauarbeiten für Leitungen, die unter den Schienen durchgehen müssten, die Preetz teilen. Der Kreis beim Thema Wärmeversorgung einer Schule. Die Bürger bei dem Anschluss an Nahwärmelösungen.
Da geht es um Bausubstanz, Statik, Flächennutzung, Denkmalschutz und manchmal auch einfach um Bäume, deren Wurzeln potenziellen Leitungen im Weg sind. Und finden sich überhaupt Firmen, die das zeitnah umsetzen können? Die Liste der Herausforderungen scheint endlos.
Erste Projekte in Preetz zu sehen: Photovoltaik und klimaneutrales Baugebiet
Auf die Frage, wie man bei so vielen losen Fäden einen Anfang findet, antwortet Brockmann: "Um sich nicht zu verzetteln, ist es wichtig, auch mit Kleinprojekten anzufangen, bei denen man auch ein bisschen üben kann." Einige dieser Kleinprojekte sind schon im Stadtbild zu sehen. In Sachen Mobilität sind neue Standorte für Leihfahrräder dazugekommen. Ein klimaneutrales Baugebiet ist auf den Weg gebracht. Auf sechs städtischen Gebäuden sind bereits Photovoltaik-Anlagen installiert und in Betrieb. An zwei weiteren Standorten ist die Anlage beauftragt, vier weitere Gebäude werden aktuell auf ihre Tauglichkeit für Solaranlagen geprüft.
Im Castöhlenweg steht ein fast fertiges Gebäude mit markant abgeschrägtem Dach und einem hohen Schornstein. In seinem Inneren: eine Holzpelletheizung. Spätestens im kommenden Jahr sollen von hier aus die Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule, das angrenzende Gymnasium und die Sporthallen mit Wärme versorgt werden. Eigentlich sollte die Anlage schon in Betrieb sein, doch laut Kreis musste der Auftrag für die Elektroinstallation vier Mal ausgeschrieben werden, bevor er vergeben werden konnte. Das führte zu Verzögerungen.
Diese Ideen hin zur Klimaneutralität sind in Preetz schon umgesetzt worden
- Photovoltaikanlagen auf sechs städtischen Gebäuden
- Sonnenkataster für Bürger, ob sich PV-Anlagen für ihre Dächer lohnen
- Drei unterschiedliche Mustersanierungs-Konzepte pro Stadtquartier als Beispiele für Bürger
- Datenerhebung zur Wärmenutzung von Privathaushalten
- Holzpelletheizanlage für zwei Schulen (noch nicht in Betrieb)
- Konkrete Konzepte für Nahwärmelösungen für vier Stadtquartiere
- Mobilitätskonzept für Fahrradwege und Regionalverkehr
- Zusätzliche Stationen für Sprottenflotte
- Leitlinien für klimaneutrales Bauen
Über allem steht die große Frage nach der Finanzierung. Das wohl größte Projekt - und beim Einsparen von Emissionen auch das effektivste - ist das der Wärmeversorgung. Auf etwa 100 Millionen Euro schätzt Brockmann allein die Kosten für die dafür angedachten Maßnahmen. Der Jahreshaushalt seiner Stadt beträgt 40 Millionen Euro, 39 Millionen davon werden allerdings für feste Positionen wie Mitarbeitergehälter gebraucht. Ohne Zuschüsse sei der Zeitplan nicht einzuhalten, ist sich Brockmann sicher. "Ob das in Berlin bekannt ist, welche Dimensionen das hat, bin ich nicht sicher." Insofern sei das eine klare Botschaft in Richtung Land und Bund, nicht nur die Wärmewende zu fordern, sondern die Wärmewende auch aktiv zu unterstützen, so Brockmann.
Umweltwissenschaftler lobt Preetz, auch beim Verbrauch anzusetzen
"Am Ende kann die öffentliche Hand einer Stadt wie Preetz das nicht alleine machen", stimmt Görge Deerberg, Professor für Umweltwissenschaften an der Fernuni Hagen, zu: "Da müssen am Ende alle Akteure mitmachen, in der Wirtschaft genauso wie natürlich im privaten Bereich. Eine Million Euro pro Jahr sind nicht ausreichend, um Klimawende und Klimaschutz zu erreichen, aber es ist sicherlich zunächst mal ein Anfang, der gesetzt wird."
Preetz müsse auf Fördermittel setzen. Aber auch die reichten nicht für alle, so Deerberg. "Ich glaube, wir kriegen einen Großteil des Problems schon einmal dadurch gelöst, dass wir weniger verbrauchen." Und dass das Preetzer Konzept viel Aktivität einplant, um private Haushalte miteinzubeziehen, bewertet Deerberg als sehr positiv und vielversprechend. "Das ist ein ganz entscheidender Punkt."
Von der nachhaltigen Wärmeversorgung zur Gebäudedämmung
Vom Rauthaus geht es ins Klosterquartier, um ein Bild von den Herausforderungen bei der Nahwärmeversorgung zu bekommen. Aktuell sind fast alle Häuser mit Gasheizungen ausgestattet, erzählt Priörin Erika von Bülow. Das Konzept sieht für diesen Teil von Preetz zukünftig eine Wärmeversorgung über Solarenergie, eine Holzhackschnitzelanlage und Abwärme das nahen Klärwerks vor.
Auf dem Gelände rund um das Kloster stehen allerdings Gebäude aus verschiedenen Jahrhunderten. Für jedes Haus muss also einzeln geprüft werden, wie Leitungen in die Häuser verlegt werden können. Und wie kommen die Leitungen an der geschätzt 800 Jahre alten Eiche vorbei, die das Gelände ziert? Bäume fällen im Namen des Klimaschutzes? Das will hier eigentlich keiner, und doch muss irgendwie eine Lösung gefunden werden.
Und wenn die nachhaltige Wärme irgendwann in den Häusern ankommt, soll sie auch möglichst drinnen bleiben. Also muss nachgedämmt werden. Gar nicht so einfach, wenn sogar Fenster und Türen unter Denkmalschutz stehen. Fenster austauschen und die Fassaden mit Styropor nachverkleiden geht also nicht. Die Dächer können von innen nachgedämmt werden, das haben erste Begehungen ergeben.
"Am Schreibtisch kann man sich das alles ganz wunderbar überlegen. Aber dann steht man hier und stellt dann fest: Ups, alte Häuser, alter historischer Baumbestand, alte Wege, Kopfsteinpflaster. Wie kriege ich das nachher alles unter einem Hut?", gibt Brockmann Einblicke in seine Arbeit.
Zwei Quartiere sollen über eine Solarthermieanlage versorgt werden
Ähnliche Herausforderungen zeigten sich im ebenfalls historisch geprägten Innenstadtquartier, so Brockmann. Hier ist eine Nahwärmeversorgung über Geothermie angedacht. Zwei weitere Quartiere können voraussichtlich über die Solarthermieanlage einer Bürgergenossenschaft versorgt werden. "Es ist ein umfangreiches Themenfeld, was es zu bearbeiten gilt, das man sich vielleicht am Anfang auch noch gar nicht so in der Komplexität vorgestellt hat", gibt Brockmann zu.
Das nötige Know-how sei in einer so kleinen Stadtverwaltung auch gar nicht gegeben und müsse eingekauft werden, so der Bürgermeister. Und bei allen Möglichkeiten muss die Stadtverwaltung immer im Gespräch mit den Hausbesitzern bleiben. Abfragen, ob sie bereit sind, sich an solchen Nahwärmelösungen zu beteiligen und ihre Häuser in Eigenregie mit neuen Fenstern, Dämmung, PV-Anlagen und mehr fit für die Zukunft zu machen.
Preetz' Entscheidungen für die Ziele von 2030 müssen im Jahr 2023 fallen
Auf dem Weg zur Klimaneutralität spielt das Jahr 2023 eine wichtige Rolle. "Weil wir eben jetzt die Entscheidungen treffen müssen: Wollen wir das wirklich oder müssen wir für uns erkennen: 2030 ist mal eine politische Absichtserklärung gewesen, aber sie lässt sich nicht realisieren", sagt Brockmann. Die Stadt sei an einem Punkt, an dem es um die konkrete Umsetzung gehe. Erste Spatenstiche müssten jetzt passieren, damit das Ziel im Auge behalten werden kann. "Und das heißt, wie finanziere ich das? Und wie stelle ich sicher, dass auch alle, die sich beteiligen wollen, auch wirklich daran beteiligen?"
Kaum Potenzial für Windenergie: Schlechte Ausgangslage für Preetz
Einen ähnlichen Standpunkt nimmt auch Umweltwissenschaftler Deerberg ein. "2030 wäre in nicht ganz sieben Jahren. Das heißt aber auch, man müsste morgen anfangen, die Straßen aufzureißen, um Rohrleitungen zu verlegen, wo noch keine sind. Und das würde auch noch mal eine größere Anstrengung bedeuten, die Leute da mitzunehmen."
Der Umweltwissenschaftler hält es für ein schwieriges Unterfangen, bis 2030 klimaneutral zu werden. "Allein schon deswegen, weil vieles auf Strom umgestellt werden soll. Preetz hat kaum Windenergiepotenzial, wenn ich das richtig gesehen habe, und damit eine relativ schlechte Situation, sich selbst lokal mit Windenergie zu versorge." Man könne sich über Dächer und Freiflächen ein Stück weit mit Photovoltaik versorgen, "aber ob es am Ende wirklich reichen wird, das bis 2030 soweit auszubauen, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen".
Bürgermeister Brockmann spricht von "DNA der Stadt" Preetz
Aufgeben kommt für Preetz aber nicht in Frage. "Wir haben uns das schon in die DNA der Stadt hineingeschrieben, dass wir die Klimaneutralität anstreben", sagt Bürgermeister Brockmann: "Es ist ein bisschen die Frage, wie schnell das nachher in der Praxis tatsächlich realisiert werden kann. Aber dass wir irgendwann auf den Halteknopf drücken und sagen 'Nein, wir lassen es bleiben' - das möchten wir unseren Bürgerinnen und Bürgern natürlich nicht zumuten."