Im Sinne des Naturschutzes? 2.580 Katzen in SH erschossen
Unter bestimmten Bedingungen dürfen Jäger in Schleswig-Holstein Katzen erschießen - und haben das letztes Jahr 2.580 Mal getan. Ein Verbot wird es wohl in näherer Zukunft trotzdem nicht geben.
Manuela Kramer (Name von der Redaktion geändert) aus dem Kreis Pinneberg liebt Katzen. "Eine eigene will ich aber nie wieder haben", erzählt sie. Denn ihre letzten beiden Kater seien erschossen worden. "Das tut so weh! Meinen Kater Gismo habe ich kurz nach Weihnachten rausgelassen, er sollte sich nur kurz die Beine vertreten können." Tagelang kam er aber nicht wieder. Irgendwann entdeckt sie Gismo dann zufällig im Schnee - tot, mit einem deutlich sichtbaren Einschussloch. "Gismo war so verschmust, so anhänglich. Der Anblick war schrecklich", so Kramer. Fast zehn Jahre ist das mittlerweile her.
2023 überwindet sie sich dann, nimmt einen neuen Kater bei sich auf. "Motzi hieß er, der war immer ein bisschen quengelig", erinnert sie sich. Im Sommer dieses Jahres verschwindet auch Motzi für immer. "Und ich habe an dem Abend wieder Schüsse gehört", sagt Kramer. Den Körper des Katers findet sie nicht, trotzdem ist für sie klar: "Auch Motzi wurde erschossen." Seitdem beschäftigt sie die Frage: "Warum tut jemand so etwas?"
Alleine 660 erschossene Katzen im Kreis Nordfriesland
Was genau in den Fällen von Gismo und Motzi passiert ist, konnte laut Manuela Kramer auch ein Gang zur Polizei nicht aufklären. Ein Blick in den aktuellsten Landesjagdbericht zeigt aber, dass erschossene Katzen in Schleswig-Holstein keine Seltenheit sind. Im Kreis Pinneberg wurden demnach zwischen April 2023 und März 2024 insgesamt 67 Katzen erschossen. Im Kreis Nordfriesland waren es im gleichen Zeitraum 660 Katzen und damit landesweit am meisten. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr laut Bericht 2.580 Katzen von Jägerinnen und Jägern erlegt. Neue Zahlen veröffentlicht der Landesjagdverband nach eigener Aussage Ende des Jahres.
Die entscheidende Grenze liegt bei 200 Metern
Die Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Landesverbands des Deutschen Tierschutzbunds, Ellen Kloth, sagt: "Das können wir nicht tolerieren. Es darf nicht sein, dass Jäger Haustiere erschießen!" Rein rechtlich betrachtet dürfen sie das in Schleswig-Holstein aber doch. Ein Blick ins Landesjagdgesetz zeigt, dass "zur Ausübung des Jagdschutzes berechtigte Personen" befugt sind, "wildernde […] Katzen zu töten." Als wildernd gelten demnach alle Katzen, die im Jagdbezirk mehr als 200 Meter vom nächsten Haus angetroffen werden. Manuela Kramer empört das: "200 Meter sind wirklich nicht viel, da kann doch nicht einfach mein Haustier abgeknallt werden!"
Freilebende Katzen gefährden seltene Tierarten
Der Landesjagdverband stellt klar: Um Haustiere, die bei Menschen leben und dort Futter bekommen, geht es eigentlich gar nicht. Und die Jägerinnen und Jäger würden grundsätzlich natürlich darauf achten, dass nach Möglichkeit keine Hauskatzen erschossen werden. Aber es gebe in Schleswig-Holstein zusätzlich sehr viele freilebende Katzen, die sich unkontrolliert vermehren - laut Landwirtschaftsministerium etwa 75.000. "Und die gefährden die Biodiversität", sagt René Hartwig vom Landesjagdverband Schleswig-Holstein.
"Ins Beutespektrum der wildernden Katzen fallen gefährdete Tierarten von der Roten Liste. Das können Bodenbrüter sein, seltene Singvögel, das Rebhuhn oder auch seltene Kleinsäuger." René Hartwig, Landesjagdverband Schleswig-Holstein
Landesjagdverband sieht Katzenhalter in der Verantwortung
Unterstützung für seine Argumentation erhält er grundsätzlich auch von Martin Rümmler. Er ist der Vogelexperte des Naturschutzbund (NABU). "Für ganz Deutschland kann man sagen, dass pro Jahr Vögel in Millionenhöhe von verwilderten, also freilaufenden Katzen gejagt werden. Und das ist durchaus eine Gefahr für die Biodiversität. Vor allem in unseren Siedlungen, weniger im ländlichen Raum." Denn sowohl Hauskatzen als auch verwilderte Katzen seien vor allem im urbanen Raum in der Nähe von Menschen ansässig. Wichtig ist ihm aber zu betonen, dass er keinesfalls für den massenhaften Abschuss von Hauskatzen sei. In seinen Augen sei dies nur ein probates Mittel in der Nähe von seltenen Tierarten.
Damit keine Hauskatzen erschossen werden, sieht René Hartwig vom Landesjagdverband die Verantwortung auch auf Seiten der Katzenhalter. Ihre Haustiere dürften sich nicht zu weit vom Haus entfernen und so gar nicht erst als wildernd gelten. "Und wenn ich das nicht gewährleisten kann, muss man natürlich entsprechend auch überlegen, ob man nicht vielleicht einen Freilauf für das Haustier baut." Gerade während der Brutzeit sei es wichtig, dass die Tiere nicht durch die Feldmark streifen. "Da hat man natürlich eine Aufsichtspflicht seinem Haustier gegenüber", ergänzt er.
In Schleswig-Holstein soll das Töten von Katzen erlaubt bleiben
Nicht in allen Bundesländern ist der Abschuss von Katzen erlaubt. In Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg gilt bereits ein Verbot. Auch wildernde Katzen dürfen dort nicht erschossen werden, erklärt Ellen Kloth vom Landesverband des Deutschen Tierschutzbundes. Und im aktuellen Landesjagdbericht aus Niedersachsen steht, dass das niedersächsische Jagdgesetz überarbeitet werde. Denn der Koalitionsvertrag sehe vor: "Das Töten von […] wildernden Hauskatzen im Rahmen des Jagdschutzes soll beendet werden." Eine entsprechende Änderung fordert Ellen Kloth auch vom schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministerium. Auf NDR-Anfrage heißt es aus dem Ministerium jedoch:
"In Schleswig-Holstein ist aktuell nicht geplant, den Abschuss wildernder Katzen im Rahmen des Jagdschutzes zu untersagen. Denn Katzen sind in der Lage, zum Wild gehörende Tierarten (z. B. Jungtiere bei Feldhasen, Wildkaninchen, aber auch Flugwild wie z. B. Fasane) zu erbeuten und damit Wildbestände zu beeinträchtigen, insbesondere beim Niederwild." Offizielles Statement Landwirtschaftsministerium SH
Katzen-Kastrationen könnten eine Lösung sein
Ein Lösungsansatz, der von allen Seiten mitgetragen wird, könnte die flächendeckende Kastration von Katzen sein. Bereits jetzt arbeiten Land, Tierschutzverbände, Tierärzteschaft, Kommunen und der Landesjagdverband bei einer jährlichen Katzen-Kastrationsaktion zusammen. Herrenlose Katzen, die nicht in menschlicher Obhut leben, können dann eingefangen und von teilnehmenden Tierärzten kastriert werden. Das Projekt finanzieren die beteiligten Gruppen gemeinsam, zuletzt im Oktober.
Noch konnte die Gesamtzahl der freilebenden Katzen so aber scheinbar nicht ausreichend reduziert werden. Das Landwirtschaftsministerium und der Landesjagdverband wollen an der aktuellen Regelung festhalten. Und so besteht auch weiter das Risiko für Katzenhalter und -halterinnen wie Manuela Kramer, dass ihre Katzen vom "kurz die Beine vertreten" durch einen Gewehrschuss nie wieder zurückkommen.