Das Drama um die Schwäne von Glückstadt
Stadtvertreter Volker Schulz (CDU) wollte in Glückstadt Schwäne ansiedeln. Nach einem Gespräch mit der ehemaligen Bürgermeisterin vor zwei Jahren wurde er offiziell Schwanenpate. Zwischendurch lebten zehn Schwäne in Glückstadt, nun schwimmen dort nur noch zwei durch Kanäle und Teiche. Die anderen sind weggeflogen, verstorben - oder wurden eingefangen.
Die beiden noch in Glückstadt lebenden Schwäne sind Fusel und Lieselotte. Da Fusel aber mehrere Wochen im Krankenhaus war, blieb Lieselotte in der Zeit allein in Glückstadt. Bei einem seiner Besuche lockt Volker Schulz sie mit etwas Futter an. "Das sind pflanzliche Pellets, geeignet für Wasservögel." Lieselotte faucht, als sie ankommt. Schulz wirft ihr eine Handvoll Pellets an den Uferrand hin. Lieselotte streckt ihren langen Hals und holt sich den Snack vom Uferrand. Ihr Hals ist leicht geknickt. "Daran erkenne ich sie. Den Knick hat sie sich bei einem Flugunfall zugezogen."
Lieselotte hatte drei Geschwister. Eines starb an Vogelgrippe, eines flog weg - übrig blieb nur noch Lieselottes Bruder Fusel. Der kam mit einem Fußbruch in die Tierklinik Hannover. "Die Röhrenknochen verheilten sehr schlecht, er zog sich die Schiene selbst heraus und musste erneut operiert werden", erzählt Schwanenpate Schulz.
"Wir können hier langfristig keine Schwäne halten"
Glückstadt ist ein gefährlicher Ort für Schwäne, zumindest für die, die Volker Schulz ansiedeln wollte. Geht es nach dem Bürgermeister Rolf Apfelt (parteilos), dann wird das Veterinäramt auch noch die beiden verbliebenen Schwäne einfangen und woanders auswildern. Für den Bürgermeister wäre damit das Kapitel Schwanenansiedlung in Glückstadt endgültig beendet. "Das ist alles sehr unglücklich gelaufen", findet er: "Aber wir können hier langfristig keine Schwäne halten. Anders als in Hamburg haben wir nicht das Personal, um uns um die Schwäne zu kümmern." Schulz widerspricht ihm: "Um die Tiere hier in Glückstadt hat sich immer jemand gekümmert. Das war nie ein Problem." Die Kümmerer haben es laut Schulz nur nicht öffentlich gemacht.
Mit einem Schwanenpaar fing alles an
Hätte der Schwan Christian vor zwei Jahren nicht seine Partnerin verloren, wäre Volker Schulz wohl gar nicht Schwanenpate geworden. "Der Verlust der Partnerin ist für Schwäne dramatisch. Hat sich ein Paar gefunden, bleibt es zusammen." Christians Partnerin hatte gerade erst Eier gelegt. Volker Schulz hatte beobachtet, wie Christian versuchte, die Eier auszubrüten. Das hat Volker Schulz berührt. Er wollte helfen und wurde bei der damaligen Bürgermeisterin vorstellig. "'Werden Sie doch Pate', hatte sie mir vorgeschlagen."
Als Pate holte er im Spätsommer 2021 auf eigene Kosten eine neue Partnerin für Christian: Maja aus Brandenburg. Maja und Christian kamen auf einem See im Butendiek zusammen, bekamen vier Küken - darunter Lieselotte und Fusel: "Ein voller Erfolg", freut sich Volker Schulz noch heute. Butendiek ist ein vom Wasser durchzogenes Stadtviertel in Glückstadt. Hier waren die Schwäne zu Hause.
Vier neue Schwäne für Glückstadt
Im Sommer 2022, ein Jahr nach Maja, holte er vier weitere Schwäne aus Brandenburg. Die ersten Wochen hielt Volker Schulz sie im eigenen Garten und im Planschbecken. "Die Tiere waren wasserscheu und ich musste sie zunächst an das Wasser gewöhnen." Er postete entsprechende Fotos bei Facebook - und sofort hagelte es Kritik. Schwäne im Planschbecken, das sei nicht artgerecht. Schulz widerspricht, er habe alles mit der Kreisveterinärin abgesprochen. Nach wenigen Wochen konnte er die Tiere auswildern. "Die Stadt hat den Erwerb der Schwäne toleriert", sagt Bürgermeister Apfelt, der das Amt am 1. Mai 2022 übernahm. Aber die Toleranz des Bürgermeisters hatte bald ein Ende.
Schwanenpaar Christian und Maja: Erst getrennt, jetzt tot
Zehn Schwäne lebten zwischenzeitlich in Glückstadt, doch das ging nicht lange gut. Das Drama begann mit der Trennung des Elternpaars Christian und Maja. Weil Christian humpelte, wurde er eingefangen und untersucht. Er ist beringt. War der Ring zu eng geworden? "Der Ring hat damit nichts zu tun. Christian humpelte schon immer", stellt Schulz klar. Maja floh, als Christian im Auftrag des Veterinäramts eingefangen wurde.
Später wurde Christian wieder freigelassen, allerdings nicht in das Gewässer, in dem er mit seiner Partnerin zu Hause war. Zunächst fanden sie sich nicht. Später sichtete Schulz das Paar nahe der Bahngleise. "Wir hatten beim Ordnungsamt Bescheid gesagt, könnten sie dort weg locken zu einem anderen Gewässer. Aber es kam keine Reaktion." Vor wenigen Wochen, Anfang März, dann die Nachricht: Ein Zug hatte das Paar erfasst. "Eine Schülerin hat uns benachrichtigt und wir sind dann sofort dorthin. Anhand der Merkmale konnten wir sehen, es sind eindeutig Maja und Christian."
Gestutzte Flügel
Das Drama um die anderen Schwäne nahm seinen Lauf, als sich im vergangenen Oktober die Vogelgrippe ausbreitete. Zwei Schwäne steckten sich an und starben. Um seine anderen Schwäne vor dem tödlichen Virus zu schützen, traf Volker Schulz eine Entscheidung mit Folgen: Um sie am Boden zu halten, stutzte ein Tierarzt ihnen die Flügel. Schulz machte das öffentlich - und das veränderte alles. Als die ersten Bilder eines gestutzten Schwans im Netz auftauchten, hagelte es wieder negative Kommentare bei Facebook. "Das sah wirklich nicht gut aus", gibt Volker Schulz zu. "Bei einem der Schwäne hatte der Tierarzt sehr viel abgeschnitten."
Für den Bürgermeister war damals das Ende der Fahnenstange erreicht. "Das Beschneiden der Flügel ist nicht mit dem Tierschutz zu vereinbaren. Es sind Wildvögel, wir können uns nicht in das Tierleben einmischen." Schulz verteidigt sich: "Ich habe das nicht im Alleingang entschieden. Wir hatten uns vorher sehr genau erkundigt. Wir haben kein Gewebe zerstört. Die Flügel wachsen nach der Mauser im Frühjahr wieder nach."
Tierschutzgesetz verletzt
Tierschützer beschwerten sich beim Veterinäramt im Kreis Steinburg. Als die Tiere dann auch noch gefährlich nah an der Straße entlang liefen und sich häufig auf einer Verkehrsinsel innerhalb eines Kreisels aufhielten, eskalierte die Lage. Die Bürger riefen die Polizei. Das Veterinäramt ließ die Vögel daraufhin einfangen. Sie wurden in ein geheimes Quartier gebracht, um sie später von dort auszuwildern.
Der Bürgermeister wollte damit erreichen, dass endlich Ruhe um die Schwäne einkehrt. Schulz vermutet, dass der Schwanenvater aus Hamburg die Tiere eingefangen und in sein Quartier gebracht hat. "Dort ist aber die Vogelgrippe ausgebrochen. Ich mache mir Sorgen, ob unsere Schwäne noch leben." Auf Anfrage des NDR bestätigt das Hamburger Bezirksamt Nord: Die Schwäne sind in Hamburg, haben sich aber nicht mit der Vogelgrippe angesteckt.
Schwanenpate drohen 10.000 Euro Strafe
"In dem Moment, wo das Veterinäramt eingeschaltet war, gab es keinen Ermessensspielraum mehr. Da gab es nichts mehr zu diskutieren", stellt der Bürgermeister im Gespräch mit dem NDR klar. Volker Schulz drohen 10.000 Euro Strafe, wenn er sich den Vögeln nähert. Der Vorwurf lautet, dass er die Schwäne regelmäßig gefüttert und dadurch domestiziert hätte.
Er habe sie nur gefüttert, um sie anzulocken, damit er schauen kann, wie es den Schwänen geht, erklärt er - und er beschwert sich, dass mit ihm überhaupt nicht gesprochen wurde. Weder der Bürgermeister noch die Tierschützer seien auf ihn zugegangen. "Wir haben unser Handeln immer transparent und öffentlich gemacht. Aber das miteinander Reden und aufeinander zu gehen, das hat mir gefehlt."
Volker Schulz kämpft um seinen Ruf
Für den Bürgermeister steht inzwischen fest: Eine aktive Ansiedlung von Schwänen wird es in Glückstadt nicht mehr geben. Wenn jedoch wilde Schwäne kommen, um zu bleiben, freue er sich. Aber sie hätten auch die Freiheit wieder weiter zu ziehen. Er hat Volker Schulz außerdem die Patenschaft bis Ende April entzogen.
Und Volker Schulz? Er würde alles wieder genauso machen, sagt er: "Wir haben mit einem Schwan angefangen und hatten zwischenzeitlich zehn. Ich würde es nur nicht mehr öffentlich machen", erklärt Schulz und spielt auf die massive Kritik in den sozialen Netzwerken an. Jetzt will er um seinen Ruf als Schwanenpate kämpfen und plant die Gründung einer offiziellen Pflegestation für Schwäne.
Schwan Lieselotte ist wieder in Gesellschaft
Lieselotte hat inzwischen wieder Gesellschaft. Fusel ist gesund und zurück in Glückstadt. "Der Arzt sagte mir, Fusel solle in ein Gewässer und wir sollen auch zufüttern, damit er die ersten Tage in Freiheit durchkommt. Zufüttern, das ist genau das, wofür wir vor allem bei Facebook immer kritisiert wurden." Unklar ist nach wie vor, ob Lieselotte und Fusel weiterhin Glückstädter Schwäne bleiben oder ob sie in den nächsten Monaten eingefangen und woanders ausgewildert werden.