Ausstand auch in SH: Rekordstreik bei Windanlagenbauer Vestas
Mit 115 Tagen Streik auch in SH haben die Servicekräfte des Windanlagenherstellers Vestas den historischen Werftenstreik von 1956 übertroffen. Noch nie wurde überregional so lange die Arbeit niedergelegt.
Sonnenschein und Grillgeruch in der Luft von Tensbüttel-Rost (Kreis Dithmarschen): Etwa 40 Vestas-Beschäftigte haben sich versammelt. Die Stimmung ist locker. Doch der Rekord ist eigentlich kein Grund zu feiern. Denn noch immer haben die Beschäftigten keinen Tarifvertrag.
Das Unternehmen zahlt in diesem Jahr einen Inflationsausgleich von 2.000 Euro und hat für den März 2024 eine Lohnerhöhung von 5,3 Prozent angekündigt. Bisher setzt Vestas die Löhne weitgehend eigenständig fest. Der Betriebsrat ist eingebunden. Doch das erlaube keine Verhandlung auf Augenhöhe, meint Martin Bitter von der IG Metall. Nur eine Gewerkschaft könne Druck ausüben. Der Streik läuft bereits seit November 2022, wenngleich mit einer Pause. Von März bis Anfang Mai gab es Gespräche. Das Unternehmen legte auch Angebote vor. Diese seien aber zum Teil zurückgezogen worden seien, berichtet Bitter. Laut Vestas liegt weiterhin ein Angebot auf dem Tisch, das der IG Metall aber nicht reiche.
Bis zu 300 Streikende täglich
Gewerkschaftlich organisiert sind fast ausschließlich die Service- und Wartungskräfte für die Windanlagen. Diese Beschäftigten sind über ganz Deutschland verteilt. Nur wenige Streikposten stehen täglich vor dem traditionsreichen Husumer Werk, wo heute die Vestas Services GmbH angesiedelt ist. Alle anderen loggen sich digital ein, um das Streikgeld zu bekommen. Laut IG Metall beteiligen sich täglich bis zu 300 Menschen an dem Ausstand. Das aus Dänemark stammende Unternehmen Vestas beschäftigt nach eigenen Angaben etwa 1.700 Mitarbeiter in Deutschland. Zu den Standorten gehören auch das Generatorenwerk in Lübeck-Travemünde sowie der Hauptsitz in Hamburg, wo laut Vestas nicht gestreikt wird. Das Unternehmen spricht von einer Minderheit, die dem Aufruf der Gewerkschaft folge.
Verhärtete Fronten durch Herausforderung der Energiewende
Beide Seiten begründen ihre Haltung auch mit den Herausforderung der Energiewende. IG Metall-Sprecher Bitter sagte NDR Schleswig-Holstein: "Wenn wir nicht freie Fahrt für gute Arbeitsbedingungen in der Windkraft schaffen, dann werden wir die Fachkräfte, die wir dringend brauchen, nicht überzeugen, in dieser Branche zu arbeiten." Das Unternehmen hält in einer schriftlichen Stellungnahme dagegen: "Vestas und die Windindustrie befinden sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation und müssen profitabel werden, um die Energiewende zu schaffen. Deshalb haben wir ein wirtschaftlich verantwortungsvolles und wettbewerbsfähiges Angebot gemacht, das den Forderungen der IG Metall entgegenkommt, ohne die finanzielle Stabilität von Vestas Deutschland oder der deutschen Windindustrie zu gefährden."
Historischer Metallarbeiterstreik lief ohne Unterbrechung
Mit 114 Tagen hielt bisher der Streik an den schleswig-holsteinischen Werften 1956/57 den Rekord. 34.000 Beschäftigte in 38 Betrieben forderten damals den vollen Lohnausgleich im Krankheitsfall. Am Ende stimmten sie einem Kompromiss zu, zumal die Streikkasse sich leerte. Sie streikten ohne Unterbrechung. Den längsten Atem bei örtlichen Arbeitsniederlegungen in Schleswig-Holstein hatten 2006 einzelne Beschäftigte des Bootsausstatters Niro Petersen in Flensburg bewiesen. Sie harrten einen gesamten Winter, 155 Tage lang, ohne Erfolg an Zelt und Feuertonne am Flensburger Hafen aus, ganz in der Nähe der Flensburger Werft.