Kreuz auf einem Wörterbuch mit dem Wort Missbrauch. © picture alliance / Bildagentur-online/Ohde Foto: Bildagentur-online/Ohde

Sexuelle Missbrauchsfälle: Kirchengemeinde kritisiert Landeskirche

Stand: 29.05.2024 09:19 Uhr

Die evangelische Kirchengemeinde Georgsmarienhütte kritisiert die hannoversche Landeskirche in einem Brief scharf. Hintergrund ist der Umgang mit Missbrauchsfällen durch einen Diakon in den 1970er-Jahren.

Die Kirchengemeinde bewerte die Zusammenarbeit mit der Landeskirche bei der Aufklärung der Fälle als mangelhaft, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Brief. Der Kirchenvorstand und der Pastor Nils Donadell werfen darin der Kirche vor, keine Unterstützung geleistet zu haben und sich weiterhin nicht für die Erfahrung der Gemeinde zu interessieren.

"Lisa Meyer" macht Missbrauch damals öffentlich

Der Brief bezieht sich auf die Missbrauchsfälle in den 1970er-Jahren durch einen angehenden Diakon in der Kirchengemeinde Oesede. Eine Betroffene hatte die Fälle 2021 unter dem Pseudonym "Lisa Meyer" öffentlich gemacht. Die Kirchengemeinde in Oesede hatte dann nach ihrer Fusion mit der Gemeinde Georgsmarienhütte die Fälle mit dem Kirchenkreis und der Betroffenen aufgearbeitet. Daraufhin untersuchte eine wissenschaftliche Kommission diese und weitere Fälle.

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Vertuscht und versäumt - das sind die Vorwürfe

Im Februar dieses Jahres präsentierten die Wissenschaftler ihre Studienergebnisse. Darin hieß es, dass der damalige Pfarrer durch sein Verhalten weitere Verbrechen begünstigt habe. Der Geistliche hätte damalige Taten sowie von Eltern geäußerte Verdachte vertuscht. Auch die Landeskirche ihrerseits, so die Wissenschaftler, hätte 2010 Kenntnis von den Taten erlangt, diese aber nicht aufgearbeitet oder bekannt gemacht. Auch in den darauffolgenden Jahren habe die Landeskirche Fehler begangen.

Damaliger Landessuperintendent habe Schuld

Der Täter und auch der in den 1970er-Jahren zuständige Pastor sind mittlerweile verstorben, "ohne dass es zu einer Konfrontation mit ihrer Schuld gekommen sei", heißt es in dem Brief, das sei schwer erträglich: "Es ist eindeutig das Versäumnis des 2010 amtierenden Landessuperintendenten und der Landeskirche." Diese Schuld sei bis heute nicht konkret benannt worden.

Landesbischof Meister reagiert bestürzt

Der Kirchenvorstand wirft dem amtierenden Landesbischof Ralf Meister vor, nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie Fehler zu spät zugegeben zu haben. Konkret geht es um den Umgang mit der Betroffenen Lisa Meyer, mit ihr hätte sich Meister persönlich treffen sollen. Es seien bis heute keine richtungsweisenden Änderungen seines Verhaltens erkennbar, so die Kirchengemeinde Georgsmarienhütte. Landesbischof Meister erklärte daraufhin, er habe die Stellungnahme "mit einiger Bestürzung gelesen". Dem Kirchenvorstand habe er ein Gespräch angeboten, so Meister, "wir müssen gemeinsam beraten, wie Landeskirche und Kirchengemeinde künftig verlässlicher zusammenarbeiten können im Sinn der Betroffenen."

Bessere Entschädigung für Betroffene gefordert

Die Unterzeichner des Briefes fordern darüber hinaus, Betroffene "deutlich besser und transparenter zu entschädigen". Dazu seien in den Gemeinden und den Kirchenkreisen mehr Ressourcen notwendig, um notwendige Schutzkonzepte zu installieren, so die Verfasser. Sie hoffen, mit der Stellungnahme allen Betroffenen ein klares Signal geben zu können, dass sie ihr Leid und ihre Anliegen sehen.

Schwierige Begriffe: Kinderpornografie und Missbrauch

  • Kinderpornografie ist die fotorealistische Darstellung des sexuellen Missbrauchs einer Person unter 14 Jahren. Der Herstellung solcher Darstellungen liegt ein realer, oft schwerer sexueller Missbrauch zugrunde. Delikte in diesem Straftatbestand werden mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. (Quelle: BKA)
  • Die Aufarbeitungskommission, die sexuellen Kindesmissbrauch in Deutschland unabhängig aufarbeitet, kritisiert die Bezeichnung: Kinderpornografie sei ein verharmlosender und ungenauer Begriff für Missbrauchsdarstellungen von Kindern auf Fotos, in Filmen und Texten. Der Begriff vermag darüber hinwegtäuschen, dass jede derartige Darstellung eine schwere Straftat ist, so die Kommission.
  • Der Verein "Wendepunkt" betont, dass bei der Herstellung von Pornografie die Teilnahme in der Regel freiwillig sei. Dafür könne bei Videos oder Fotos, auf denen sexuelle Handlungen mit Kindern gezeigt würden, nicht die Rede sein. Auch der Begriff "Missbrauch" sei nicht angebracht - er schließe ein, dass es im Umkehrschluss so etwas wie einen zulässigen Gebrauch von Kindern geben könne. Stattdessen solle der Begriff "sexuelle Gewalt" genutzt werden, weil sexuelle Handlungen mit Kindern nichts anderes seien.
  • Die Polizei hingegen verwendet den Begriff "Kinderpornografie" neben Formulierungen wie "Abbildungen von sexuellem Missbrauch von Kindern" oder "Darstellung von sexueller Gewalt", da der Begriff im Strafgesetzbuch als Tatbestand verankert ist. (Quelle: Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes)

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Regional Osnabrück | 29.05.2024 | 09:30 Uhr

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