Missbrauch vertuscht: Bericht belastet evangelische Kirche schwer
In einer Kirchengemeinde in Georgsmarienhütte-Oesede soll es in den 70er-Jahren sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gegeben haben. Eine Kommission wirft der Kirche Vertuschung vor.
Ein Diakon in der Ausbildung soll damals in der König-Christus-Gemeinde Oesede (Landkreis Osnabrück) ein elfjähriges Mädchen vergewaltigt haben. Darüber hinaus sollen mindestens sieben weitere Kinder und Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt durch den Beschuldigten geworden sein. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht einer unabhängigen Aufarbeitungskommission, der am Dienstag in Hannover vorgestellt wurde.
Missbrauch gemeldet - Mund verboten?
Wie im Herbst 2021 bekannt wurde, hatte die Elfjährige den Vorfall schon 1974 der ehrenamtlichen Betreuerin einer kirchlichen Ferienfreizeit gemeldet. Das habe jedoch keine Folgen für den Beschuldigten gehabt. "Die übrigen Opfer und die gesamten Taten, die sich daran anschließen, hätten nicht stattgefunden, wenn diese Betreuerin ihrer Verpflichtung nachgekommen wäre", sagte die Kommission. Die Betreuerin habe dem Mädchen sogar verboten, darüber zu reden.
Betroffenen wurde "keine Beachtung geschenkt"
Der zuständige Gemeindepastor habe im Jahr 1976 von dem Vorfall Kenntnis erhalten. Danach habe es wiederum weitere neun Monate bis zur Entlassung des Diakons gedauert. In dieser Zeit sei der Diakon nicht von seinen Aufgaben, die ihm den Umgang mit Kindern und Jugendlichen ermöglichten, entbunden worden. Drei der Betroffene seien Verantwortungsträgern bekannt gewesen. Ihnen sei keinerlei Beachtung geschenkt, Unterstützung oder Hilfe angeboten worden. Zudem sei die Tatsache, dass der Diakon sexualisierte Gewalt ausgeübt habe, an keiner Stelle ausdrücklich dokumentiert worden. Vielmehr sei die "Vertuschung dieser Taten von den Verantwortlichen mitgetragen worden". Strafrechtlich verfolgt worden sei der Fall nicht. Der Mann erhielt laut Kommission sogar eine Bescheinigung über den erfolgreichen Abschluss seiner Ausbildung. Der Diakon sei in der Gemeinde beliebt gewesen und habe ein enges Verhältnis zum Pfarrer gehabt. 2018 ist der Beschuldigte gestorben.
Bericht zeichnet Bild eines Serientäters
Angestoßen wurde die Aufarbeitung erst, nachdem das damals elfjährige Opfer seinen Fall im Oktober 2021 öffentlich gemacht hatte. Was die Betroffene vermutete, zeigt nun auch der Bericht: Der Diakon hatte offenbar mehrere Taten begangen. Die Betroffene saß zur Vorstellung des Kommissionsberichts im Publikum. Sie sagt: "Das jetzt nochmal so bestätigt zu hören, hat mich sehr erschüttert und zeigt mir aber auch, wie wichtig diese Studie ist." Die Ergebnisse zeigten, dass die Aufarbeitungskommission akribisch und umfangreich gearbeitet habe.
Kirche soll jahrelang von Fällen gewusst haben
Schon elf Jahre zuvor soll sich die Betroffene an die Kirche gewandt haben. Sie habe den Landessuperintendenten der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers über die sexualisierte Gewalt informiert. Dass diese Information nicht verbreitet worden sei, ist laut Bericht ein "erhebliches Versäumnis des Landeskirchenamtes Hannover". Die Landeskirche soll laut Kommission auch nicht öffentlich nach weiteren möglichen Betroffenen gesucht haben.
Ralf Meister bedankt sich - Betroffene nennt das "zynisch"
Über die Ergebnisse des Berichts sei die Landeskirche Hannover im Vorfeld nicht informiert worden, teilte die Aufarbeitungskommission weiter mit. Landesbischof Ralf Meister wurde der Bericht in Hannover überreicht. Er will in 14 Tagen Stellung nehmen. Vor Ort sagte er: "Lassen Sie mich dennoch sagen, dass ich zuallererst im großen Respekt, vielleicht darf man sagen mit Dank, der Betroffenen zum Ausdruck bringen will, dass ohne ihren Einsatz über viele Jahrzehnte, es zu dieser Aufarbeitungskommission gar nicht gekommen wäre." Die Betroffene selbst sagt, den Dank des Bischofs findet sie zynisch.
Bundesweite Studie: Forschende kritisieren EKD
Ende Januar war in Hannover eine bundesweite Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und in der Diakonie vorgestellt worden. Auch darin hatte das Forscherteam kritisiert, dass Betroffene in der Vergangenheit meistens von der evangelischen Kirche allein gelassen und ihre Erfahrungen lange ignoriert worden seien.