Rettung in der Not: Azubis testen KI in Osnabrücker Schwimmbad
Künstliche Intelligenz durchdringt immer mehr Bereiche unseres Alltags. Auch in niedersächsischen Schwimmbädern kommt KI vermehrt zum Einsatz, um im Notfall Leben zu retten. In Osnabrück haben Azubis das System getestet.
Sechs Kameras hängen über dem Becken des Osnabrücker Nettebades. Jeder Zentimeter der Wasseroberfläche kann so von oben genau gescannt und kontrolliert werden: Ist ein Schwimmer in Gefahr, droht ein Kind ins Wasser zu fallen oder gibt es eine unübersichtliche Situation im Wasser? Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz soll so die Sicherheit erhöht werden - zusätzlich zur menschlichen Badeaufsicht. Am Beckenrand steht an diesem Vormittag Badleiterin Sonja Niemann mit Azubis und jungen Mitarbeitern des Schwimmbads. Sie wollen das System und die Software heute ausprobieren, um zu verstehen, wie die komplexe KI agiert und worauf sie genau reagiert.
Ertrinken im Schwimmbad: Lässt sich die KI täuschen?
Ausgestattet mit einer speziellen Smartwatch steht Tom Ellermann am Beckenrand. Der 20-Jährige ist im Sommer mit seiner Ausbildung zum Fachangestellten für Bäderbetriebe fertiggeworden. Heute übernimmt er zunächst die Rolle des Bademeisters, während Azubi Nemanja Selmanoviv ins Becken steigt und wild mit den Armen fuchtelt. "Ertrinken so wie im Film", ruft ihm Badleiterin Sonja Niemann schmunzelnd zu. Dieses Verhalten: untypisch. Denn ertrinkende Personen gehen meist lautlos und ohne größere Regungen unter. Die KI erkennt diesen "Täuschungsversuch": Es droht keine Gefahr, auf der Uhr ertönt also kein Warnsignal.
Fehlalarm: KI ist auf typische Merkmale programmiert
Als nächstes legt sich Nemanja Selmanovic mit dem Gesicht nach unten reglos aufs Wasser und lässt sich treiben. Als "toter Mann" sei diese Übung vor allem bei Kindern beliebt, berichten die Azubis. Die KI erkennt auch hier: alles im Rahmen, es droht keine Gefahr. Die KI lernt laufend anhand der erfassten Bewegungsmuster, was eine kritische Situation ist und was nicht. "Es sind ganz typische Merkmale, damit die KI auslöst", erklärt Sonja Niemann. Und das sei wichtig, damit die Bademeister nicht ständig mit Fehlalarmen konfrontiert werden.
Kein Ersatz für die menschlichen Rettungsschwimmer
Das System sei als Unterstützung wahnsinnig hilfreich, so Sonja Niemann. Es gebe immer mal wieder die Situation, dass die Badeaufsicht mit einem Gast spricht und dadurch abgelenkt werde. Bei starker Sonneneinstrahlung könne auch der Blick ins Wasser durch die Spiegelungen an der Oberfläche eingeschränkt sein. "Die KI lässt sich davon nicht beeinträchtigen", so die Badleiterin. Ersetzen könne das System die Kollegen am Beckenrand jedoch nicht, nicht mal in Zeiten des Fachkräftemangels. "Niemand muss hier um seinen Job fürchten", so Niemann, schließlich könne die KI nicht ins Wasser springen und jemanden rausholen.
Experten warnen: KI kann Fehler machen
Auch Wissenschaftler und KI-Experten sehen das System als eine Art "doppelten Boden", also einen zusätzlichen Schutz im Wasser. Bademeister könnten zum Beispiel müde werden, KI nicht. Noch dazu könnten Aufsichtspersonen ihre Augen nicht überall gleichzeitig haben, KI tendenziell schon, sagt Tim Kietzmann, Professor für Maschinelles Lernen an der Uni Osnabrück. Trotzdem warnt er davor, sich komplett auf die KI zu verlassen. "Je besser das System funktioniere, desto mehr vertrauen wir darauf und dann kann es gefährlich werden." KI könne durchaus einmal nicht wie gewünscht reagieren, darum sei es bei solchen sicherheitsrelevanten Anwendungen wichtig, dass weiterhin Menschen dabei sind.
Bilder an Smartwatch: "Dummy" als ertrinkende Person
Die Azubis versuchen jetzt mit einer Puppe, die Ki zu täuschen. Der "Dummy" wird ins Wasser geschmissen, sinkt zu Boden und bleibt natürlich reglos liegen. Kurz darauf beginnt die Uhr am Arm von Tom Ellermann zu piepen, ein roter Alarm leuchtet auf. "Wir sehen auf der Uhr jetzt die genaue Position", so Tom Ellermann. Auch ein Bild von der Gefahren-Situation werde ihm auf die Smartwatch geschickt, so dass schnell klar ist, ob es sich um einen Ernstfall handelt oder nicht. Sollte sich dann wirklich eine leblose Person unter Wasser befinden, heißt es: reinspringen und retten. Im Schnitt löse das System zwei bis drei Alarme pro Tag aus, so Badleiterin Sonja Niemann.
Rote, gelbe und blaue Alarme
Neben den "roten" Alarmen sende das System auch "gelbe" oder "blaue" Signale. Gelb bedeutet: Achtung, es könnte Gefahr drohen, zum Beispiel wenn ein Kind am Beckenrand spielt und sich kein Erwachsener in der Nähe befindet. Blau bedeutet: hier sind viele Menschen auf engem Raum: die Situation ist unübersichtlich und sollte im Auge behalten werden. Letztes Jahr, kurz vor Silvester, habe die KI hier in Osnabrück tatsächlich einem älterer Mann das Leben gerettet. "Der Kopf des Herren blieb immer länger unter Wasser, die KI hat einen roten Alarm ausgelöst und unsere Kollegen konnten sofort eingreifen", so Niemann. Somit konnte der bewusstlos gewordene Mann rechtzeitig gerettet werden.
Sicherheit der Badegäste mit sicherem Datenschutz
Der Einsatz der KI sei nur für Notfälle gedacht. Die Kameras erfassen lediglich die Konturen der Badegäste, nicht aber die Gesichter einzelner Schwimmerinnen und Schwimmer. Die Daten würden intern auf einem Server gespeichert und das auch nur so lange, wie die KI braucht, um die Bewegungsabläufe zu detektieren und zu analysieren. "Wir sprechen da von 40 Sekunden", so Badleiterin Sonja Niemann. Eine niedrige fünfstellige Summe lässt sich das Nettebad diese zusätzliche Absicherung kosten - für bisher ein Becken. Das Osnabrücker Schwimmbad will den Einsatz von KI in Zukunft weiter ausbauen. Denn was am Ende zählt, ist die Sicherheit der Badegäste.