Ein Balkonkraftwerk und eine Photovoltaikanlage auf einem Hausdach. © picture alliance / SVEN SIMON Foto: Frank Hoermann / SVEN SIMON

Zu viel Solarstrom? Netzbetreiber wollen private Anlagen steuern

Stand: 03.09.2024 07:45 Uhr

An sonnenreichen Tagen überlastet Solarenergie teilweise die Stromnetze. Netzbetreiber wie EWE Netz aus Oldenburg wollen private Anlagen daher künftig steuern können - das fordert auch die Bundesnetzagentur.

von Peter Becker

Der Solarausbau boomt: Mehr als vierzig PV-Anlagen und Batteriespeicher installiert Philipp Hanken mit seinen Kollegen von CS Energiesysteme pro Woche im Oldenburger Münsterland und Ostfriesland. Die Preise für Solarmodule und Speicher sind zuletzt stark gefallen. Deshalb investieren gerade immer mehr Menschen in Photovoltaik auf dem eigenen Dach oder in Balkonkraftwerke. Auch Ina und Björn Fischer aus Friedeburg im Landkreis Wittmund erzeugen künftig ihren eigenen Strom. Die Familie mit zwei Kindern will sich unabhängiger von steigenden Strompreisen machen. Rund 17.000 Euro haben sie investiert - ohne staatliche Förderung.

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Private Anlagen speisen unkontrolliert Solarstrom ein

"Nach neun, zehn Jahren rechnet sich so eine Anlage," sagt Ina Fischer. "Wir sind noch jung, und bis zum Rentenalter ist es durch." Neben den Solarzellen installieren die Mitarbeiter von Philipp Hanken bei Familie Fischer auch einen Batteriespeicher mit intelligentem Stromzähler, eine sogenannten Smartmeter. Mit den kleinen Geräten soll in Zukunft die Stromerzeugung von privaten Photovoltaik-Anlagen gesteuert werden können. Noch sind die Smartmeter in Deutschland nicht Standard. Die Folge: Die meisten privaten Erzeuger speisen unkontrolliert den Solarstrom dann ins Netz ein, wenn die Sonne scheint und die eigenen Batteriespeicher voll sind und nicht dann, wenn der Strom tatsächlich benötigt wird. "Aktuell gibt es keinen Anreiz, den Strom zu einer bestimmten Uhrzeit einzuspeisen, da man immer den gleichen Preis bekommt," sagt Philipp Hanken.

Zu viel Solarstrom gefährdet die Netzstabilität

Und so wird an sonnenreichen Tagen oft mehr Solarstrom erzeugt, als verbraucht wird. Das fordert die Netzbetreiber wie EWE Netz aus Oldenburg heraus. In der Netzleitstelle des Unternehmens überwachen Mitarbeiter rund um die Uhr das Stromnetz und erkennen Störungen. "Bei größeren Störungen werden von hier sofort Entstörungseinsätze eingeleitet," erklärt Torsten Maus. Der Geschäftsführer steht in dem Raum mit zahlreichen Monitoren, auf denen unzählige Leitungen und Zahlenkolonnen zu sehen sind: "Wir haben wahnsinnig viel Photovoltaik im Netz. Und wenn wir das nicht mehr verbraucht bekommen, müssen wir steuernd und regelnd eingreifen können."

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EWE: "Müssen auf kleinere Anlagen zugreifen können"

Derzeit kann EWE Netz aber lediglich größere Solarparks oder Kraftwerke bei Bedarf vom Netz nehmen. Das geschehe schon rund 6.000 Mal im Jahr, sagt Torsten Maus. Inzwischen habe man aber mehr als 150.000 Erzeugungsanlagen am Netz. Die meisten davon seien Photovoltaik-Anlagen. Diese seien derzeit nicht steuerbar. Maus hat daher eine klare Forderung an die Politik: "Um Netzausfälle wirklich verhindern zu können, müssen wir auch auf kleinere Anlagen zugreifen können." Eine Steuerung wäre mit intelligenten Mess-Systemen - den Smartmetern - möglich. Diese müssen aber erst ab dem 1. Januar 2025 verpflichtend in neue Anlagen eingebaut werden.

Netzausbau und Politik hinken Solarboom hinterher

Der Netzausbau ist in den vergangenen Jahren dem rasanten Ausbau der Photovoltaik nicht hinterhergekommen: Eine Photovoltaikanlage ist schnell installiert, Stromleitungen zu verlegen dauert dagegen oft Jahre. Zudem stoße der Ausbau an natürliche Grenzen, sagt Maus. Es gebe Engpässe bei Fachkräften, Baumaterial und Technik: "Wenn ich heute einen Großtransformator beschaffe, dann braucht das eine Vorlaufzeit von zwei bis fünf Jahren."

Auch Bundesnetzagentur fordert Steuerung für Solaranlagen

Das Problem, dass die Netze dem Solarboom derzeit nicht gewachsen sind, hat nun offenbar auch die Bundesnetzagentur erkannt. Im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) hat Agentur-Präsident Klaus Müller angekündigt: "Es führt kein Weg daran vorbei, neue Solaranlagen steuerbar zu machen. Sie müssen auf den Markt reagieren, also die Einspeisung stoppen, wenn niemand für den Strom bezahlen will." Zudem verlangte Müller in der NOZ, Verteilernetzbetreiber müssten in die Lage versetzt werden können, "bei kritischen Netzsituationen Solaranlagen zu steuern, um Netze stabil zu halten." Das wäre ganz im Sinn von Netzbetreibern wie EWE Netz. Geschäftsführer Torsten Maus betont aber, dass man woanders schon weiter sei: In Italien nutze man bereits die dritte oder vierte Generation intelligenter Stromzähler.

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