Mann mit Vision: So lockt ein Kinderarzt Personal an die Küste
In ganz Niedersachsen fehlen Kinderärzte. Michael Scheel hat sich deshalb ein besonderes Konzept für seine Praxis in Nordholz überlegt und Geld für Stellenanzeigen in den sozialen Medien in die Hand genommen. Mit Erfolg.
Scheel läuft mit Stethoskop um den Hals über den langen Flur seiner Kinderarztpraxis in Nordholz (Landkreis Cuxhaven). Die wirkt eher wie eine riesige Unterwasserwelt zum Spielen. Aber er hat sie nicht nur für seine kleinen Patienten so eingerichtet - sondern vorm allem fürs Personal, sagt er. Schon zwei Ärzte und eine Ärztin hat er so angeworben. Die Wände sind dunkelblau, überall kleben Folien mit Meerestieren, von der hohen Decke hängen bunte Modelle von Delfinen, Fischen und einem fünf Meter langen Wal. "Die Kinder sind natürlich immer begeistert, wenn sie das sehen. Aber eigentlich habe ich das Ganze für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemacht", so Scheel.
Viele Kinderärzte gehen in Rente - ohne Nachfolge
Vor einem guten Jahr noch betrieb Scheel alleine eine Kinderarztpraxis in Wremen. "Dass das kein Modell für die Zukunft ist, war mir klar", sagt der 46-Jährige. Denn in der Region gehen immer mehr Kinderärzte in Rente und finden keinen Nachfolger. "Und deren Patienten aufzufangen, das ist nicht möglich, erst recht nicht als Alleinkämpfer."
Mangel an Kinderärzten in ganz Niedersachsen
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) bestätigt, dass in ganz Niedersachsen Kinderärzte fehlen. "Die Versorgung der Kinder wird vor allem in den Randlagen der Städte und auf dem Land immer schwieriger", so Detlef Haffke von der KVN. "Kinder und Jugendärzte müssen dort oft heute schon einen Aufnahmestopp verhängen."
Ungewöhnliches Design für ungewöhnliche Praxis
Michael Scheel wollte dem entgegenwirken. Innerhalb von nur einem Jahr erschuf er mit seinem Bruder, einem Industriedesigner, eine neue 580 Quadratmeter große Praxis. Sie mieteten dafür ehemalige Büroräume im regionalen Versorgungszentrum Wurster Nordseeküste an. Die Brüder gestalteten alles im Stil einer Meereswelt, von den Möbeln in den einzelnen Zimmern über die Wand- und Wartezimmerdekoration bis zu den Visitenkarten. "Meine Praxis sollte eine Marke werden", sagt Scheel. Auch, um Personal zu locken.
Personal kommt trotz Fachkräftemangels
Und das hat er nur ein Jahr nach Eröffnung gefunden. Die ersten Monate bestritt er in der Praxis noch als einziger Arzt. "Ich hatte schon ein, zwei schlaflose Nächte wegen dieses großen Projekts. Aber ich war mir sicher, dass es funktioniert." Im Februar holte er einen Kinderarzt aus Delmenhorst zu sich, seit August unterstützen ihn dazu noch eine Ärztin in Weiterbildung und ein Arzt, der vorher in München tätig war. Zehn Medizinische Fachangestellte arbeiten bei ihm, drei weitere werden demnächst anfangen.
Videos auf Instagram und Stellenanzeigen auf Facebook
"Mir war klar, dass der Kampf um Fachkräfte immer härter werden wird", erklärt der Arzt, der immer schon unternehmerisch interessiert war. "Egal ob Ärztin oder Medizinische Fachangestellte, die suchen nicht nach einem neuen Job. Ich muss sie zu mir lotsen." Dabei helfen ihm die sozialen Medien. "Ich habe Tausende Euro für Stellenanzeigen auf Facebook ausgegeben." Ab und zu dreht er mit seinen Mitarbeitenden Instagram-Videos, ihm folgen dort schon 3.500 Menschen.
Arzt zieht von München nach Nordholz
Josef Auer ist aus dem Münchner Umland erst vor wenigen Wochen mit seiner Frau und zwei Kindern an die Küste gezogen, um bei Scheel anzufangen. "Ich wollte diese Nachtdienste in der Klinik nicht mehr, wollte mehr Zeit für meine Familie haben. Und ich mag Norddeutschland", sagt er. "Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können", bestätigt Scheel. "Arbeiten in einer Urlaubsregion. Und das Angestelltendasein mit festen Arbeitszeiten und 40 Tagen Urlaub kommt vielen Ärzten entgegen."
Eltern freuen sich über Kinderarzt
Die kleinen Patienten, die an diesem Tag in der Praxis sind, wissen von alldem nichts. Aber ihre Eltern freuen sich, dass sie einen Kinderarzt gefunden haben. Eileen Ihben ist gerade mit ihrem drei Monate alten Sohn Jone zur Vorsorgeuntersuchung da. "Wir waren einige Monate ohne Kinderarzt, weil unsere alte Kinderärztin in den Ruhestand gegangen ist", erzählt sie. "Zunächst hatten wir leider auch einen Aufnahmestopp", sagt Kinderarzt Scheel. "Aber durch meine neuen Ärzte können wir jetzt langsam wieder neue Patienten annehmen."
Praxis mit Vorbildcharakter
Ob die Praxis noch weiter wachsen soll? "Das könnte sein. Platz für einen Arzt hätten wir noch", sagt Scheel. Alles, was er für den Aufbau seiner Praxis getan hat, hat er genauestens protokolliert. "Falls jemand so etwas nachmachen möchte, kann er aus meiner Erfahrung lernen." Denn für ihn ist so eine Kinderarztpraxis mit mehreren angestellten Ärztinnen und Ärzten die Praxis der Zukunft.