Fleischkontrolleure beklagen Machtlosigkeit
Als die Fotos beim NDR eingingen, glaubten die Reporterinnen von Panorama 3 und Markt noch an eine Ausnahme. Zu sehen sind eitrige Abszesse auf Schweinefleisch. Aufgenommen in einem niedersächsischen Schlachthof. Ekelfleisch wie dieses ist ungesund für den Verbraucher. Unschön, aber doch wohl selten.
In den Schlachthöfen sorgen schließlich amtliche Fleischkontrolleure und Veterinäre dafür, dass die Schlachthygiene eingehalten wird. Und so nur als unbedenklich eingestuftes Fleisch weiterverarbeitet wird.
Fleischkontrolleure schlagen Alarm
Wäre da nicht ein Brandbrief aus dem Landkreis Cloppenburg. Dort schlugen kürzlich rund 50 Fleischkontrolleure bei ihrem Veterinäramt Alarm. In dem Schreiben ist von Überlastung durch Personalabbau die Rede. Und dass dadurch die einwandfreie Qualität des Fleisches nicht mehr gegeben sei. Etliche Abszesse würden deshalb in die Zerlegung gelangen.
Die zugespielten Fotos, so scheint es, sind wohl doch keine Ausnahme. In großen Schlachthöfen hängen die Schweinehälften am Band. Am Untersuchungspodest rattern 1.200 bis 1.400 Schweinehälften pro Stunde an den Fleischbeschauern vorbei. Herbert Ahrens, Vorsitzender der amtlichen Fleischkontrolleure, meint: "Das Band läuft sehr schnell. Mit der Geschwindigkeit, die teilweise auf Schlachthöfen herrscht, ist das Schwein schnell an einem vorbei. So, dass wir das nicht mehr vernünftig untersuchen können. Das rauscht einfach durch."
Schlachthöfe machen dicht
Im Juni 2014 änderte sich EU-weit das Verfahren der Fleischbeschau. Wurden die Schweinehälften und Organe bis dahin durch anfassen und anschneiden kontrolliert, soll nun allein das geschulte Auge genügen. "Visuelle Fleischbeschau" nennt sich das. Sie soll eine Verbesserung sein, denn das Anschneiden könne mitunter unhygienisch sein. Der Verband der Fleischwirtschaft hat sich sehr für dieses neue Verfahren eingesetzt. Zeigen will er es uns allerdings nicht. Kein Schlachthof öffnet seine Türen für unsere Kamera. Zitat: "Wir können Ihnen leider keinen Schlachtbetrieb vermitteln, weil die Filmaufnahmen zur tatsächlichen Erläuterung der visuellen Fleischuntersuchung als wenig hilfreich beurteilt werden."
"Weder möglich noch zielführend"
An einigen Schlachthöfen wurden mit der neuen Untersuchungsmethode amtliche Kontrolleure am Band eingespart. Das, so Insider, erschwere die Kontrolle. Da sich im Veterinäramt Cloppenburg Fleischkontrolleure mit ihrem Brandbrief zum Thema Arbeitsbelastung bereits zu Wort gemeldet haben, fragen wir dort nach. Nun ließen sich die Vorwürfe ausräumen. Doch ein Interview mit dem Veterinäramtsleiter Karl-Wilhelm Paschertz wird abgelehnt. Es heißt aus dem Amt allerdings, die Vorwürfe träfen nicht zu. Schriftlich bitten wir um Informationen: Wie viele Kontrolleure am Band gab es in jedem einzelnen Schlachthof des Landkreises vor der Einführung der neuen Methode - und wie viele sind es heute?
Mit der Antwort ließe sich der Brandbrief schließlich besser einordnen. Doch wochenlang gehen Mails zwischen dem Veterinäramt und Panorama 3 hin und her. Das Veterinäramt könne uns die Anzahl seiner Mitarbeiter in den Schlachthöfen des Landkreises Cloppenburg nicht nennen, so das Amt. Schriftlich heißt es: "Die visuelle Fleischbeschau befindet sich noch in der (wissenschaftlich begleiteten) Einführungsphase. Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt weder möglich noch zielführend, die von Ihnen angesprochenen Zahlen und Daten zu benennen. Erst nach Abschluss und anschließender Evaluation dieses Prozesses werden Ergebnisse vorliegen."
Fleischbeschauer als Erfüllungsgehilfen?
Schlachtbetriebe sind in jedem Landkreis gern gesehene Unternehmen. Garantieren sie doch Arbeitsplätze und Gewerbesteuern. Probleme in den Schlachthöfen können so allerdings auch zu einem Problem der Landkreise werden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Karin Thissen ist Tierärztin und hat 22 Jahre als Veterinärin in Schlachthöfen gearbeitet. Für sie sind die Kontrolleure zwar formal unabhängig, nicht aber in der Realität: "Da wird auf den Landrat Druck ausgeübt. Man möge an die Arbeitsplätze denken. Euer Veterinäramt ist hier zu streng. Wenn es so weitergeht gehen wir ins Ausland! Und da wird schnell eingeknickt, wird Druck auf die Veterinärämter ausgeübt." Thissen sagt auch einen Satz, der nachdenklich macht. Fleischkontrolleure seien Erfüllungsgehilfen der Betriebe geworden, weil ihre Vorgesetzten ihnen zu wenig Rückendeckung geben.
Amtsleiter sagen "wir" - und meinen den Schlachthof
Empfinden die Kontrolleure selbst diesen Machtverlust ebenso? Es ist nicht einfach mit Fleischkontrolleuren zu sprechen. Viele haben Sorgen um ihren Arbeitsplatz und wollen deshalb ungern über ihre Arbeit reden. Offen vor der Kamera mit uns zu sprechen traut sich keiner von Ihnen. Doch was die Veterinäre dann in den verdeckten Interviews sagen, ist brisant: An einigen Schlachthöfen würden die Verantwortlichen der Schlachtbetriebe bestimmen, wo es lang geht - und nicht die Veterinärämter.
Wird ein Band gestoppt für eine genauere Kontrolle gäbe es umgehend Proteste. Von den eigenen Vorgesetzten von Veterinärämtern gäbe es keinen Rückhalt: "Wenn unsere Vorgesetzten von 'wir' sprechen, meinen sie den Schlachthof. Und nicht 'wir' als Überwachungsbehörde", erzählt einer der Befragten. Ohnmacht sei die Folge und frustrierte Kollegen, die mittlerweile aufgegeben hätten. Auch wenn es immer das schlechte Gewissen gegenüber dem Verbraucher gäbe.
"Das geht einfach nicht"
Zu diesen Vorwürfen haben wir die Veterinäramtsleitung befragen wollen. Denn schließlich hatten rund 50 Fleischkontrolleure in ihrem Brandbrief an den Landkreis auch von ihrer Angst einzugreifen geschrieben. Doch hier heißt nur, es gäbe keine Probleme. Bei den Fleischbeschauern klingt das anders: "Es würde mich ekeln, wenn ich das wüsste, dass Abszesse so oft durchgehen. Dass sie in die Wurst reingehen. Und dann überlege ich mir, ob ich mein Fleisch noch im Supermarkt kaufe." Und die Abgeordnete Thissen meint: "Das geht einfach nicht. Es muss wieder klar sein, der Kontrolleur ist eine Amtsperson und seine Aufgabe ist es zu kontrollieren."