Social Media: Islamistische Influencer radikalisieren Jugendliche
Islamisten veröffentlichen in den sozialen Medien Videos, die um Jugendliche werben. Hannovers Beratungsstelle bei Radikalisierung zeigt sich im NDR Interview besorgt über den wachsenden Einfluss.
Es sind oft bunte Videos bei TikTok und anderen Social-Media-Plattformen, in denen Fragen und Regeln zum Islam beantwortet werden. Oft stecken hinter den Videos islamistische und salafistische Prediger. beRATen e.V., die Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung in Hannover, blickt besorgt auf die Entwicklung der Islam-Influencer. Der Verein begleitet seit 2015 mehr als 400 Radikalisierungsfälle in Niedersachsen. Seit dem Nahost Krieg ist die Anzahl der Beratungsanfragen stark gestiegen. Harry Guta ist Leiter von beRATen e.V.
Herr Guta, wer sucht Hilfe in Ihrer Beratungsstelle?
Harry Guta: Es kommen Menschen mit den verschiedensten Fragestellungen. Beispielsweise eine Mutter, die von ihrer Tochter erzählt, die früher bauchfrei zur Schule gegangen ist und jetzt trägt sie einen Chimar und möchte bestimmte Sachen nicht mehr essen oder hört keine Musik mehr und trennt sich von ihrem sozialen Umfeld. Sie schaut sich Influencer an, die Sachen propagieren, die uns nicht gefallen. Oder dass jemand Gedanken hegt, sich an irgendwelchen Kriegen zu beteiligen oder ausreisen zu wollen, was Gott sei Dank nicht mehr so oft vorkommt. Es ist die ganze Spannbreite da, die wir hier aufnehmen.
Welche Rolle spielen die Islam-Influencer in ihren Beratungsstunden?
Guta: Generell hören wir in den Gesprächen nicht nur von den Jugendlichen, auch von den Eltern, dass ihre Kinder ständig im Internet sind, sich ständig solche Social-Media-Kanäle anschauen. Gerade bei TikTok erreichen sie eine weite Anhängerschaft. Und das ist natürlich sehr erschreckend. Es ist eine Kampagne, die schon seit einiger Zeit läuft und kaum aufzuhalten ist. Wir müssen etwas dagegen setzen: Das heißt also unsere Freiheit und die demokratischen Werte. Und wir müssen diese jungen Menschen natürlich auch emotional erreichen. Denn das tun die Influencer hier sehr gut. Und das müssen wir auch tun.
Warum kommen die Videos von Islamisten bei jungen Menschen so gut an?
Guta: Diese Influencer-Salafisten geben klare Weltbilder, also machen ein Schwarz-Weiß-Denken auf und geben damit Orientierung. Dazu ist es auch sehr jugendtypisch gemacht. Das wirkt erstmal harmlos. Sie machen so alltagstaugliche Fragestunden: Darf ich eine Katze haben? Darf ich ein Meerschweinchen haben? Darf meine Freundin eine Hotpants tragen? All das wird so erklärt: "Na klar darf sie eine tragen. Aber natürlich nicht in der Öffentlichkeit. Nur für dich, mein Bruder. Und zu Hause." Sie machen sehr praktische, alltagstaugliche Aussagen. Und das brauchen diese jungen Menschen in einer hochkomplexen Welt.
Wer ist anfällig für eine Radikalisierung?
Guta: Es gibt keine "Ad-hoc-Radikalisierung". Es sei denn, es passiert tatsächlich etwas, wie beispielsweise, dass man den geliebten Freund verliert oder irgendetwas Dramatisches in der Lebenswelt passiert. Es gibt keine Checkliste. Aber gefährdet sind alle Menschen, die sich in diesem Spektrum aufhalten und dort etwas suchen, was sie in ihrer Lebenswirklichkeit nicht finden. Das heißt, nach Anerkennung suchen, nach Zugehörigkeit, Gerechtigkeit. Gefährdet sind im Grunde alle, die sich leicht überreden lassen, zu einer bestimmten Ideologie, die dann getarnt ist, durch bestimmte Religionsausübung. Aber dahinter steckt oft eine Ideologie, die demokratiefeindlich und menschenfeindlich ist und letztendlich den Tod bringt. Gefährdet sehe ich in erster Linie junge Menschen.
Das Interview führte Larissa Mass, NDR.de