Winterkorns Ahnungslosigkeit wenig glaubhaft
Wer hat wann was gewusst? Das ist nach wie vor die zentrale Frage im VW-Abgas-Skandal. Auch Martin Winterkorn ist diese Frage am Donnerstag gestellt worden. Der frühere VW-Chef war vor den Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Abgas-Affäre geladen. Und auch, wenn er sich anfangs doch gesprächig gab, blieb er im Kern bei seiner bekannten Linie: Vom Betrug mit den Abgaswerten will Winterkorn nichts gewusst haben. Wie glaubwürdig ist das?
Dass Martin Winterkorn viel zur Aufklärung des Diesel-Skandals beitragen würde, das hatte wohl keiner erwartet. Er habe nichts gewusst - bis September 2015 -, und dann schnell gehandelt. Und wütend mache ihn das Ganze, da gehe es ihm wie den VW-Kunden.
Winterkorn, der Ahnungslose, ja, der Außenstehende? Schauen wir doch mal auf die bloßen Fakten: Martin Winterkorn war von 2007 bis 2015 Konzernchef bei Volkswagen, kannte das Unternehmen davor schon Jahrzehnte. Die US-Diesel mit der Betrugssoftware wurden 2007 konzipiert, 2015 flog der Skandal auf. Die Betrugsjahre waren also Winterkorn-Jahre, so viel kann man sagen.
Winterkorn war stets der "Alleswisser"
Martin Winterkorn galt in all den Jahren als der "oberste Ingenieur" von Volkswagen, der, der jede Schraube seiner Autos kennt. Einer, der sich von Ingenieuren jedes Detail erklären ließ, um dann quasi an den Motoren mitzubauen. Schon vor diesem Hintergrund erscheint Winterkorn heute wenig glaubhaft.
Doch es gibt noch mehr: Winterkorn war Chef eines Konzerns, der extrem hierarchisch aufgebaut war, patriarchalisch, sogar autokratisch. Er hat eine Unternehmenskultur geschaffen, in der sich jeder nach oben abgesichert hat, bei der nächsthöheren Ebene. Tat man das nicht, war man draußen, erzählen Manager heute. Und da soll von einem so eminent wichtigen Thema niemand dem Chef berichtet haben? Wenig glaubhaft.
Will er die Öffentlichkeit für dumm verkaufen?
"Ein kleiner Kreis von Mitwissern", hieß es zu Anfang von VW. Und mit dieser Legende konnte sich natürlich auch Winterkorn anfreunden. Doch inzwischen weiß man: Der Kreis war deutlich größer. Aber immer noch ohne Winterkorn?
Im Ernst: Hört man dem Mann heute zu, bekommt man den Eindruck, er will die Öffentlichkeit für dumm verkaufen. Denn längst gibt es starke Indizien, dass Winterkorn schon Jahre früher wusste, was in der Dieselmotoren-Entwicklung schief lief. Sein Mann für Produkthaftungsfragen wusste wohl schon 2012 Bescheid, er habe sogar gesagt: "Ich gehe damit zum Chef." Und das soll er nicht getan haben?
Ein Kampf an mehreren Fronten
Im Sommer 2015 schließlich soll Winterkorn nach Aussagen von Zeugen so gewirkt haben, als kenne er die Betrugssoftware schon. Das macht Winterkorns am Donnerstag wieder einmal ausgestellte Ahnungslosigkeit noch weniger glaubhaft.
Klar kämpft der Mann an einigen Fronten: Ermittlungsverfahren in Deutschland, und in den USA könnte ihm Dasselbe drohen, was den bisher angeklagten sechs Managern droht: eine langjährige Haft. Da wägt man jedes Wort sorgsam ab. Trotzdem: Die Geschichte des Diesel-Betrugs ist noch nicht vollständig erzählt, und in dieser Geschichte könnte der Name Winterkorn wohl am Ende häufiger vorkommen, als das dem Ex-VW-Chef lieb ist.