Urteil des Bundesgerichtshofs: Mehr Chancen für Diesel-Kläger
Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) könnte weitreichende Konsequenzen für VW haben. Der BGH hat die Hürden für Schadenersatz-Klagen von Diesel-Käufern in Deutschland deutlich gesenkt.
In dem Grundsatzurteil vom Montag geht es um sogenannte Diesel-Thermofenster. Den Richtern zufolge sind Autobauer schadenersatzpflichtig, wenn sie die Abgasreinigung bei hohen und niedrigen Temperaturen zum Motorschutz drosseln. Der BGH kassierte damit sowohl seine bisherige Rechtsprechung als auch frühere Urteile zugunsten von Volkswagen, Audi und Mercedes und verwies diese zurück an die Berufungsgerichte. Damit folgt Karlsruhe der Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Es sind mehr als 100.000 Verfahren deutschlandweit betroffen. Was das Urteil für den Einzelfall bedeutet, ist offen.
Abgasreinigung auch in Pkw ohne Betrugs-Software nicht immer gleich
Worum geht es genau? Stichwort Thermofenster: Viele Diesel-Fahrzeuge haben zwar nicht die bekannte Betrugssoftware, mit deren Hilfe der Wagen bei einem Test in einen anderen Modus wechselt und weniger Abgase ausstößt. Dennoch funktioniert die Abgasreinigung auch in diesen Fahrzeugen nicht durchgängig gleich gut. Zum Beispiel durch den Einsatz von Thermofenstern: Dabei handelt es sich um eine spezielle Software, die die Abgasreinigung in Autos steuert. Bei bestimmten Temperaturen wird diese Reinigung heruntergefahren oder ganz ausgeschaltet. Nach Angaben der Hersteller soll das den Motor schützen. Bislang teilte das Kraftfahrtbundesamt diese Einschätzung.
Thermofenster: Auch eine unzulässige Abschalteinrichtung?
Der Vorwurf der Kritiker: Die Autobauer hätten die entsprechenden Funktionen so ausgestaltet, dass die Fahrzeuge die Grenzwerte vor allem unter den üblichen Bedingungen von Abgas-Tests einhalten. Deshalb seien auch diese Funktionen unzulässige Abschalteinrichtungen. Sind die Käuferinnen und Käufer dieser Autos also zu Schadenersatz berechtigt? Der BGH fand bisher: Nein. Der EuGH aber sagte im Fall eines Kunden von Mercedes: Ja.
Folgt der BGH dem EuGH, könnten neue Klagen auf VW zukommen
Der BGH sah bisher keine vorsätzliche Schädigung der Käuferinnen und Käufer, sondern höchstens Fahrlässigkeit. Die Hersteller hätten nicht bewusst eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Seit dem EuGH-Urteil ist allerdings ein Anspruch auf Schadenersatz auch bei einem fahrlässigen Verhalten des Autobauers möglich. Während der Verhandlung in Karlsruhe hatte sich abgezeichnet, dass die Richter dazu tendieren, dem EuGH zu folgen. Das Urteil könnte sich auf vorliegende Klagen auswirken und zusätzlich weitere Käuferinnen und Käufer entsprechender Diesel-Modelle dazu bringen, Schadenersatz zu fordern. Volkswagen droht im riesigen Diesel-Komplex eventuell eine weitere Klagewelle.
Volkswagen sieht keine Schädigung des Kunden
Nach Angaben eines VW-Sprechers kann gerade in dem konkreten beim BGH anhängigen Fall von einem unzulässigen Thermofenster keine Rede sein. Technisch unterscheide sich der betroffene Motor vom Typ EA 288 fundamental vom Motor EA 189, der als technischer Ursprung des Dieselbetrugs gilt. Überdies beruft sich Volkswagen auf die Typgenehmigung, die jeweils das Kraftfahrbundesamt in Flensburg erteilt habe. Eine sittenwidrige Schädigung der Kunden könne Volkswagen deshalb nicht vorgeworfen werden.