Göttingen: Wohnblock-Bewohner klagen gegen Corona-Abriegelung
Im Juni 2020 wurde ein komplettes Hochhaus in Göttingen unter Quarantäne gestellt und abgeriegelt. Es kam zu Ausschreitungen mit der Polizei. Nun klagt eine Familie wegen Freiheitsentziehung.
Ein gesamtes Hochhaus unter Quarantäne, abgeriegelt mit Bauzäunen, kontrolliert durch die Polizei. Das spielte sich im Juni 2020 in einem Wohnblock in Göttingen ab. Mehr als 120 Personen waren hier positiv auf das Coronavirus getestet worden. In der Folge stellte die Stadt das komplette Hochhaus unter Quarantäne. Davon betroffen waren etwa 700 Bewohnerinnen und Bewohner, darunter 200 Kinder und Jugendliche.
Eine Woche lang abgeriegelt
Der Wohnkomplex wurde in der Zeit vom 18. Juni bis zum 25. Juni 2020 mit Bauzäunen umsperrt und durch Ordnungsamt, Polizei und private Sicherheitsdienste abgesichert. Die Bewohner durften das Haus nicht verlassen. Zweimal täglich sollten sie kostenlose Mahlzeiten bekommen, Care-Pakete mit Lebensmitteln und Hygieneprodukten sollten bis vor die Wohnungstür geliefert werden. Doch das funktionierte - zumindest in den ersten Tagen - nur schlecht. Mehrere Bewohner beschwerten sich damals, nicht genug zu essen zu haben.
Es kam zu Ausschreitungen mit der Polizei
Nach drei Tagen eskalierte die Lage in Göttingen. Etwa 80 bis 100 Bewohner versammelten sich an der äußeren Absperrung. Mehrere Personen versuchten, über die Bauzäune zu klettern, einige warfen zudem mit Flaschen, Steinen, Haushaltsgegenständen und Pyrotechnik auf die Polizei. Acht Polizeibeamte wurden verletzt. Nur "mit massivem Einsatz von Pfefferspray" hätten die Einsatzkräfte verhindern können, dass die Absperrung durchbrochen wurde, so ein Polizeisprecher damals.
Familie klagt wegen Freiheitsentziehung
Eine vierköpfige Familie klagt nun vor dem Verwaltungsgericht Göttingen. Sie musste zur Zeit der Abriegelung in ihrer Wohnung ausharren und durfte das Haus nicht verlassen. Konkret richtet sich ihre Klage gegen die Umzäunung des Wohnblockes, die eine richterliche Anordnung erfordert hätte. Eine solche gab es nicht, so die Kläger. Sie sehen deshalb ihre Freiheitsrechte verletzt.
Grüne und Linke kritisierten Maßnahmen als überzogen
Politiker der Grünen und Linken sowie Kirchenvertreter hatten die Stadt bereits im Juni 2020 wegen der drastischen Abriegelung des Wohnkomplexes kritisiert. Die Bewohner seien vorab nicht informiert worden und seien dazu gezwungen worden, zusammen mit Infizierten auf dem Gelände zu sein. Grünen-Ratsherr Thomas Harms sprach von einem "verschärften Arrest" für 700 Personen, der vor allem “die Ärmsten der Armen, darunter sehr viele Kinder" getroffen habe.
Bewohner leben unter teils prekären Bedingungen
Der Wohnkomplex an der Groner Landstraße gilt in Göttingen schon lange als sozialer Brennpunkt. Die Wohnungen sind nur 19 bis 39 Quadratmeter groß - nach Angaben der Stadt leben dort teilweise Familien mit vier Kindern. Die Vollquarantäne im Juni 2020 sei deshalb "keine leichte Entscheidung" gewesen – so der damalige Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler. Dennoch hätte es für die drastischen Maßnahmen keine Alternative gegeben.