Göttingen: 700 Bewohner in Massen-Quarantäne
Nach dem Corona-Ausbruch in einem Göttinger Hochhaus-Komplex sind mittlerweile 120 Menschen positiv auf das Virus getestet worden. Das berichtet NDR 1 Niedersachsen am Freitag. 700 Menschen stehen wegen des Ausbruchs unter Quarantäne. Polizei und Ordnungsamt überwachen das Ausgehverbot. Insgesamt sind in der Universitätsstadt und dem umliegenden Landkreis laut Stadt derzeit 255 Personen am Coronavirus erkrankt. Insgesamt wurden bisher 700 Personen getestet, zum Teil auch von außerhalb des Komplexes.
Stadt liefert Lebensmittel
Wie die Stadtverwaltung mitteilte, sei die Entscheidung vor dem Hintergrund des massiven Eingriffs in Grundrechte intensiv abgewogen worden. Wegen der hohen Zahlen werde die Quarantäne aber als notwendig, angemessen und verhältnismäßig bewertet. Alle drei Eingänge des dreiteiligen Wohngebäudes wurden gesperrt. Mit Notfall-Paketen sollen Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs bereitgestellt werden.
"Enger Wohnraum, unzureichende Hygiene"
"Wir müssen jetzt hoffen, dass alle in dieser Ausnahmesituation einen kühlen Kopf bewahren", sagte Christian Hölscher von der Jugendhilfe Göttingen. Es handele sich um eine völlig neue, einschneidende Situation. Hölscher spricht, wie andere Beobachter auch, von engem Wohnraum, unzureichender Hygiene und auch Drogen- und Alkoholproblemen.
Broistedt: "Prekäre Wohnverhältnisse"
Vielen Menschen in der Stadt sei klar, dass dies kein idealer Ort für aufwachsende Kinder sein könne. Mehr als 200 Kinder und Jugendliche leben nach Angaben der Stadt in der dreiteiligen Wohnanlage. Die Sozialdezernentin, Petra Broistedt (SPD), sprach von "prekären Wohnverhältnissen". In Göttingen ist von einer teils aggressiven Stimmung innerhalb kleiner Gruppen die Rede. Immer wieder würden Einsatzkräfte schlichtend eingreifen. Am Morgen hatte offenbar ein Bewohner versucht, das Gebäude zu verlassen. Er wurde von der Polizei aufgegriffen und zurückgebracht.
Grüne kritisieren Zustände
Scharfe Kritik an den Zuständen kommt auch vom Stadtratsabgeordneten Thomas Harms (Grüne). Die Menschen lebten dort unter widrigsten Umständen. Weil es immer noch kein Wohnraumgesetz in Niedersachsen gebe, müsse die Stadt statt den Eigentümern die Rote Karte zeigen zu können, jetzt auch 85 Prozent der nichtinfizierten Bewohner wegsperren, so Harms.
Medizinische Versorgung vor Ort
Laut Stadt Göttingen sollen die Übertragungswege des Virus unterbrochen werden. Deshalb würden Flure, Treppenhäuser und Fahrstühle im Gebäude täglich gereinigt, ein Mund-Nasen-Schutz sei dort Pflicht. Außerdem wird den Angaben zufolge vor Ort ein mobiles medizinisches Versorgungszentrum mit Apotheke eingerichtet.
Broistedt: Müssen mit weiteren Infektionen rechnen
Die Quarantäne für den Hochhauskomplex gelte zunächst bis zum 25. Juni, sagte die Sozialdezernentin Broistedt am Donnerstag: "Damit haben wir Zeit für die Nachverfolgung der Kontaktpersonen." Dies sei nicht in einem oder zwei Tagen zu schaffen. Als Gründe nannte sie die große Zahl betroffener Menschen sowie sprachliche Barrieren, da nicht alle gut Deutsch sprächen. "Wir brauchen Dolmetscherinnen und Dolmetscher und wir brauchen eine Vielzahl an Kräften im Gesundheitsamt, um uns einen Komplettüberblick zu verschaffen." Man müsse damit rechnen, dass weitere Infektionen hinzukommen, sagte Broistedt.
Massentest in zwei Bussen
Anfang der Woche waren alle, die in dem Hochhaus wohnen, auf Corona getestet worden. Zuvor war bei zwei Bewohnerinnen das Virus nachgewiesen worden. Für den Massentest setzte die Stadt erstmals ein mobiles Testzentrum ein. Zwei umgebaute Busse standen zur Verfügung. Das gesamte Gelände wurde während der Testphase abgesperrt und von der Polizei kontrolliert.
Frauen bei Routinekontrolle positiv getestet
Die Infektionen bei den beiden Frauen waren nach Angaben der Stadt bei einer präventiven Routinekontrolle in einer Klinik entdeckt worden. Nach aktuellem Stand gebe es keinen Zusammenhang mit dem massiven Coronavirus-Ausbruch in einem benachbarten Wohnblock, einem Hochhauskomplex am Rande der Innenstadt.