Diesel-Betrug: VW-Aufsichtsratschef Pötsch sagte aus
In der VW-Abgasaffäre hat Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch nach Informationen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig als Beschuldigter zweimal frühzeitig und umfassend ausgesagt. Damit agiert Pötsch deutlich anders als der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn und der heutige VW-Konzernchef Herbert Diess. Beide haben sich zu den Vorwürfen bislang nicht eingelassen. Gegen alle drei ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Sie sollen VW-Aktionäre zu spät über drohende finanzielle Folgen der Abgasaffäre informiert haben.
Wusste Pötsch von den drohenden finanziellen Belastungen?
Pötsch wird in dem Verfahren von einem Mitarbeiter der VW-Rechtsabteilung schwer belastet. Der Zeuge sagte aus, er habe Pötsch, der damals VW-Finanzvorstand war, frühzeitig über Abgasmanipulationen in den USA informiert. Das Gespräch soll am 29. Juni 2015 stattgefunden haben. Er habe Pötsch erklärt, dass auf dem Rollenprüfstand manipuliert worden sei, um die Zulassung für die Dieselfahrzeuge in den USA zu erhalten. Der VW-Jurist behauptet, er habe Pötsch auch mitgeteilt, dass es sich um 600.000 Fahrzeuge auf dem US-Markt handele und hier mögliche finanzielle Belastungen in Höhe von 35 Milliarden Dollar auf den Konzern zukommen könnten, die sich aus 19 und 16 Milliarden zusammensetzten. Das sei einmal der Betrag für den Rückkauf der Fahrzeuge und zum anderen für die maximalen Strafzahlungen gewesen. Bei dem Gespräch soll auch der Leiter der VW-Rechtsabteilung dabei gewesen sein.
Ging die Warnmitteilung zu spät raus?
In dem Strafverfahren wegen Marktmanipulation ist die Frage entscheidend, wann Pötsch genau über den Betrug und die möglichen finanziellen Folgen informiert wurde und ob er als Finanzvorstand eine sogenannte Ad-hoc-Mitteilung möglicherweise zu spät herausgegeben hat. Tatsächlich erfolgte die Warnmitteilung erst am 22. September 2015, vier Tage nachdem amerikanische Behörden den Dieselbetrug öffentlich gemacht hatten. Die Frage ist auch entscheidend für die Klage von Aktionären, die derzeit in Braunschweig verhandelt wird. Nach Bekanntwerden des Dieselbetruges war die VW-Aktie zeitweise abgestürzt. Daher haben Investoren und Aktionäre in einem Kapitalmusterverfahren den VW-Konzern auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagt.
VW: Vorstände konnten Brisanz nicht ermessen
Über die Existenz der belastenden Aussage des VW-Juristen, die vom 20. Dezember 2017 datiert, hatte erstmals "Spiegel online" berichtet. Einige Details dieser Aussage waren bislang aber nicht bekannt. Nach Darstellung von VW haben Pötsch und die anderen Vorstände nicht ermessen können, wie brisant der Sachverhalt gewesen sei. Laut VW-Schriftsatz habe Finanzvorstand Pötsch noch am 14. September 2015 geglaubt, der Dieselbetrug koste in den USA maximal 150 Millionen Euro. Dies steht im Widerspruch zu der Aussage des VW-Juristen, der schon im Juni vor drohenden Kosten von 35 Milliarden gewarnt haben will. Allerdings hat der ehemalige Leiter der VW-Rechtsabteilung, der bei dem Treffen am 29. Juni 2015 dabei gewesen sein soll, bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt, er könne sich an das Gespräch so nicht erinnern.
"Angaben des Zeugen P. sind seit langem im Unternehmen bekannt"
Auf Anfrage teilte VW mit, die "Angaben des Zeugen P. sind seit langem im Unternehmen bekannt." Sie seien "ernst genommen, intensiv geprüft und hinterfragt" worden. "Solche Informationen waren nach Angaben mehrerer dazu befragter Personen nicht Inhalt der fraglichen Besprechung. (...) Die Darstellung durch den Zeugen P. wird nachdrücklich zurückgewiesen." Der ehemalige Leiter der VW-Rechtsabteilung war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Warten auf Stellungnahmen von Winterkorn und Diess
Die Verteidiger von Winterkorn wollen dem Vernehmen nach in absehbarer Zeit eine erste Stellungnahme vorlegen. Ob sich Winterkorn dann vernehmen lässt, ist bislang offen. Der amtierende VW-Chef Diess will im kommenden Jahr eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme abgeben. Zu der Frage, ob er sich von den Ermittlern vernehmen lassen will, möchte sich sein Anwalt derzeit nicht äußern.