Dieselbetrug: Aussage belastet amtierenden VW-Chef
Der amtierende Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns Herbert Diess soll persönlich über den Dieselbetrug informiert und vor weitreichenden Folgen für das Unternehmen gewarnt worden sein - und zwar einige Tage vor der Veröffentlichung des Vorgangs durch die US-Behörden.
Nach Recherchen des NDR behauptet der ehemalige Leiter für Produktsicherheit, Bernd Gottweis, in seiner Aussage vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig, er habe am 13. September 2015 ein einseitiges Memorandum ("One-Pager") verfasst, in dem er warnt, VW habe jede Glaubwürdigkeit bei den US-Behörden verloren, eine Klageschrift stehe kurz bevor.
Memo persönlich überreicht
Diese Mitteilung habe er am Sonntag geschrieben und sie am Morgen des 14. September Herbert Diess selbst übergeben. Er sei extra um 6 Uhr morgens zum Flughafen gefahren, um den "One-Pager" persönlich zu überreichen. In dem Memorandum heißt es weiter, VW müsse eine offensive Kommunikation gegenüber den Behörden und Aktionären entwickeln.
Ermittlungen wegen Marktmanipulationen
Brisant ist die Mitteilung an Diess, weil die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen ihn wegen Marktmanipulation ermittelt. Dabei geht es um die Frage, ob VW seine Aktionäre früher über die drohenden Strafzahlungen in den USA hätte informieren müssen. Dabei zählt jeder Tag, es geht um Milliarden. Herbert Diess hatte bislang immer behauptet, er sei von der Enthüllung der Abgasmanipulationen durch die US-Behörden am 18. September 2015 und den damit drohenden Milliardenzahlungen völlig überrascht worden. Diess war damals VW-Markenvorstand.
Auch weitere Vorstände informiert
Gottweis, der im Diesel-Betrugsverfahren selbst Beschuldigter ist, behauptet weiter, er habe den "One-Pager" dem Assistenten des damaligen VW-Chefs Winterkorn gegen 8 Uhr übergeben. Eine weitere Kopie habe er dem VW-Chef-Justiziar überreicht mit der Bitte, das Schreiben Hans Dieter Pötsch zu geben. Pötsch war damals Finanzvorstand des VW-Konzerns und ist heute Aufsichtsratsvorsitzender von VW. Gegen Winterkorn und Pötsch ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen Marktmanipulation.
Winterkorn habe sich noch am selben Tag telefonisch bei Gottweis gemeldet und ihm mitgeteilt, er habe das Schreiben verstanden. Dann soll er gefragt haben: "Wen soll ich rausschmeißen?"
Ein VW-Sprecher erklärte, VW habe erst vor Kurzem Einsicht in die Ermittlungsakten bekommen. Es gebe in diesem Zusammenhang bislang keine neuen Erkenntnisse. Generell verbiete es sich, einzelne Zeugenaussagen "isoliert aus der Akte herauszugreifen und zu kommentieren". VW-Chef Diess, Aufsichtsratschef Pötsch sowie der frühere Vorstandsvorsitzende Winterkorn wollten sich nach Angaben des Unternehmens vor dem Hintergrund laufender Verfahren nicht zu den Vorwürfen äußern.