Der treue Herr Hauschild und der Volkswagen-Skandal
"Die Straßenlage ist gut, auch bei hohen Geschwindigkeiten bleibt der Wagen relativ leise. Bis nach Österreich in den Urlaub zu fahren, das ist das reinste Vergnügen." So beschreibt Rainer Hauschild aus Leer seinen anthrazitfarbenen VW Passat Baujahr 2010. Seit 1986 fährt er VW, dem Modell aus Emden ist er stets treu geblieben. Und jetzt das: Auch in Hauschilds Diesel hat Volkswagen seine Betrugssoftware eingebaut, die saubere Abgaswerte vorgaukelt. "Von wegen BlueMotion. Ich habe gedacht: 'Das kann doch nicht wahr sein, dass ein Weltkonzern wissentlich betrügt'", empört sich der 72-Jährige.
Keinerlei Reaktion aus Wolfsburg
Mächtig sauer ist er auf den Wolfsburger Konzern. Bislang kein Brief, keine Mail, kein Anruf. Als es ihm zu bunt wurde, hat er sogar dem neuen VW-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller einen Brief geschrieben. Keine Reaktion. Und auch sein örtlicher Vertragshändler, bei dem er vor fünf Jahren den Passat gekauft hat, kann Hauschild nicht weiterhelfen. Dabei hat der Rentner so viele Fragen: Wann kommt der Wagen endlich in die Werkstatt, um die Manipulationssoftware auszutauschen? Wie lange dauert das? Hat die Reparatur Einfluss auf den Spritverbrauch? Und die Leistung? Ändert sich daran etwas? Mehr als 111.000 Kilometer hat sein Passat jetzt auf dem Tacho. Aber an einen Verkauf ist gar nicht zu denken. Gebrauchtwagenhändler bieten neuerdings allenfalls Spottpreise, wenn überhaupt.
Tipps vom Wirtschaftsjuristen
Hauschild holt sich deshalb Rat beim Bremer Wirtschaftsjuristen Jens-Peter Gieschen. Der Fachanwalt hat in einem anderen Verfahren Audi-Fahrer gegen den Autohersteller erfolgreich vertreten. Jetzt geht es um weitere Marken des VW-Konzerns. Dass die Abgassoftware ausgetauscht werden soll, hat Volkswagen bereits angekündigt. Aber damit allein ist es nicht getan: Gieschen geht es auch um mögliche Folgen des Softwaretausches. "Wenn sich das negativ auf Spritverbrauch und Leistung auswirkt", sagt er, "muss der Kunde VW erst die Möglichkeit geben, den Mangel zu beheben. Gelingt es nicht, das Auto in einen vertragsgemäßen Zustand zu versetzen, könnte man theoretisch vom Kaufvertrag zurücktreten und ein entsprechendes Neufahrzeug verlangen."
Welche Möglichkeiten hat der VW-Kunde?
Für Neuwagen gilt eine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren. Innerhalb dieser Zeit müssen Mängel kostenlos beseitigt werden. Ansprechpartner ist der jeweilige Händler, bei dem der Wagen gekauft wurde. Parallel sollten sich die betroffenen Autobesitzer aber auch direkt an den Konzern wenden, rät Gieschen. Schließlich geht es neben der Gratis-Reparatur auch um Entschädigungen. Bei älteren Fahrzeugen sind die Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag verjährt. So wie bei Hauschild. Seinen Passat fährt er jetzt fünf Jahre. Trotzdem hat der Leeraner laut Gieschen einen Anspruch auf ein mangelfreies Fahrzeug, das alle Angaben aus dem Kaufvertrag erfüllt. Ist das nicht möglich, könnte VW zu einer Entschädigungszahlung aufgefordert werden.
Vielleicht ein Markenwechsel - nach 25 Jahren Treue
Sollte das Auto nach der Software-Reparatur gravierende Mängel aufweisen, die Besitzer nicht in Kauf nehmen wollen, etwa einen Spritverbrauch, der mehr als zehn Prozent höher liegt als angegeben, dann könnte man sogar auf einem Neuwagen bestehen, der den Angaben des Kaufvertrags entspricht. Juristische Auseinandersetzung nicht ausgeschlossen. Einen ersten Erfolg kann Jurist Gieschen im aktuellen Konflikt mit VW schon vorweisen: Der Konzern hat ihm zugesichert, dass er auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2016 verzichten werde. Übersetzt heißt das: VW verlängert die Gewährleistungsfrist um fast 13 Monate. Das Schreiben des Konzerns liegt dem NDR vor.
Hauschild ist zufrieden. Entschädigung oder vielleicht sogar einen Neuwagen im Tausch gegen den alten. "Das klingt gut", sagt er und setzt sich wieder ans Steuer, um nach Leer zurückzufahren - mit dem Auto, das ihn bisher mehr als 110.000 Kilometer begleitet hat. Er ist so wütend auf den Konzern aus Wolfsburg und dessen Geschäftsgebaren, dass er sich nach 25 Jahren Treue zu Volkswagen tatsächlich überlegt, ob er nicht doch mal die Marke wechselt.