VIDEO: 400 Züge: Lärm und geschlossene Schranken in Groß-Gleidingen (4 Min)

400 Züge täglich: Wenn der Bahnübergang fast immer dicht ist

Stand: 30.08.2024 16:52 Uhr

Wer in Groß Gleidingen im Landkreis Peine lebt, muss Gelduld haben. Denn dort geht alle paar Minuten die Bahnschranke runter. Was die Groß Gleidinger besonders ärgert: Dass sie noch nicht mal einen Bahnhof haben.

von Sabine Hausherr

Wenn sich Klara Sytnyk mit ihrem Auto auf den Weg zu ihrem Arzt in Salzgitter-Lebenstedt macht, dann fährt sie meist eine Stunde vorher los. Zu unkalkulierbar sei die Strecke. "Schrecklich, ganz ehrlich, man ärgert sich richtig darüber", sagt die Frau mit den blonden Haaren, während sie mal wieder vor der geschlossenen Bahnschranke steht. Wie viel Zeit sie in ihrem Leben schon davor verbracht hat - sie weiß es nicht. Hinter ihr im Auto steht Simone Brahmann. "Meine Schwester wohnt in Peine", erzählt sie. "Ich hab hier schon 40 Minuten gewartet, und manchmal liegt eine Viertelstunde zwischen den Zügen, und es tut sich rein gar nix, eine Katastrophe ist das."

In einer Karte sind Bahnverbindungen zwischen Hildesheim, Braunschweig und Hannover eingezeichnet. © NDR
Alle Züge von Braunschweig nach Hannover und Hildesheim fahren durch Groß Gleidingen. Mit entsprechenden Auswirkungen für die Bewohner.
Schranke bleibt oft 20 Minuten unten

Heute geht es etwas schneller. Nachdem erst zwei Regionalzüge und dann noch drei Güterzüge durchgerauscht sind, öffnet sich die Schranke nach 20 langen Minuten wieder. Doch auch dieses Mal schaffen es nur drei Autos über die Bahnschranke, ehe die Bahn-Ampel wieder auf rot schaltet und anfängt zu tuten. Wieder stauen sich nach und nach Dutzende wartende Autos und Lkw. Ismael Balabanoglu fährt die Strecke regelmäßig. "Ein Kollege von mir", erzählt er leicht amüsiert, "der ist hier sogar mal nach der Nachtschicht eingeschlafen."

Mann wohnt seit 40 Jahren an den Bahngleisen

Seit die Strecke vor gut zehn Jahren fünfgleisig ausgebaut wurde, ist noch mehr Verkehr auf den Schienen. Denn alle Personen- und Güterzüge zwischen Braunschweig und Hannover und Braunschweig und Hildesheim fahren durch den kleinen Ort. Einer, der von den vielen Zügen besonders betroffen ist, ist Stanislaw Gierszewski. Seit 40 Jahren wohnt er in Groß Gleidingen. "Als wir eingezogen sind, waren es so ungefähr 240 Züge am Tag, jetzt aber sind mehr als 400", erzählt er. Ortsbürgermeisterin Bärbel Kuschnik (SPD) bestätigt diese Einschätzung. "Im Moment rattern hier durch den Ort ungefähr 400 Züge am Tag, auch Güterzüge", sagt sie - das Ergebnis: viel Lärm. Und die Bewohner hätten nicht einmal etwas davon: Der hiesige Bahnhof sei 1982 dichtgemacht worden, sagt Kuschnik.

Gleise laufen durch den Ort Groß Gleidingen. © Screenshot
Durch Groß Gleidingen fahren täglich Hunderte Züge - einen eigenen Bahnhof hat der Ort aber nicht.
Eine Stunde mehr Zeit einplanen

An den Lärm habe er sich schon längst gewöhnt, sagt er, die Deutsche Bahn habe ihm ja schallisolierte Fenster spendiert und auch eine Lärmschutzwand. Doch dass er immer warten muss, daran könne er sich nicht gewöhnen. Mal schnell die Enkel abholen, sei schwierig. "Ich fahre eigentlich immer eine Stunde vorher los, damit ich rechtzeitig ankomme", sagt der 66-Jährige leicht resigniert. Nun aber befürchtet er, dass künftig noch mehr Züge auf der jetzt schon so viel befahrenen Strecke unterwegs sein werden, nachdem Niedersachsen angekündigt hat, den Nahverkehr weiter ausbauen zu wollen. 

Umgehungstraße könnte für Entspannung sorgen

Ortsbürgermeisterin Bärbel Kuschnik (SPD) kämpft schon lange für eine Lösung. Sie fordert entweder eine Haltestelle in Groß Gleidingen, damit die Einwohner wenigstens die Züge auch nutzen können, die hier vorbeikommen. "Aber auch eine Umgehungsstraße östlich am Ort vorbei wäre ein große Erleichterung für uns", sagt sie. Doch die Gemeinde Vechelde und der Landkreis Peine sehen derzeit noch keinen Handlungsbedarf.

Generalsanierung der Strecke Lehrte - Groß Gleidingen ab 2029

Hoffnung macht den Groß Gleidingern jetzt nur die geplante Generalsanierung der Strecke im Jahr 2029 durch die Deutsche Bahn. Das Unternehmen will auch darüber beraten, ob der Bahnübergang verändert werden muss, schreibt die Deutsche Bahn auf Anfrage des NDR Niedersachsen. Was das genau heißt, verrät der Konzern allerdings nicht.

700-Einwohner-Ort fühlt sich von Politik allein gelassen

Die Groß Gleidinger jedenfalls und die vielen Pendler, die täglich die Strecke nutzen, fühlen sich bislang mit ihrem Problem allein gelassen. Jeder aus dem Landes- oder Bundesverkehrsministerium sei eingeladen, sich die Situation mal selbst vor Ort anzuschauen, sagt Bärbel Kuschnik noch zum Abschied. "Was wir hier mitmachen", sagt sie, während sie wieder einmal mit ihrem Fahrrad vor der Schranke wartet, "kann sich keiner vorstellen, der nicht selbst mal hier in der Schlange gestanden hat."

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 26.08.2024 | 19:30 Uhr

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