Lebensgefahr: Krankenkasse verweigert Therapie
Fußamputation oder Tod - Walter Bruckner aus Wienhausen in Niedersachsen schluckt, wenn er von seiner Erkrankung erzählt. Fünf Jahre liegt die nun hinter ihm. Doch vergessen kann er das, was damals mit seinem Fuß passierte, nicht. Das mag auch mit seiner Krankenkasse zusammenhängen. 43 Jahre lang ist Walter Bruckner bei der DAK versichert - Jahrzehnte habe er den Höchstsatz gezahlt. Nie habe es Unstimmigkeiten zwischen ihnen gegeben. Auch deshalb ist das Verhalten der DAK für Walter Bruckner so enttäuschend.
"Jedes weitere Schneiden heißt Fußamputation"
Was mit einem kleinen braunen Fleck an seinem rechten Fuß beginnt, entwickelt sich bald zu einer tiefgreifenden Entzündung. In kürzester Zeit wird Walter Bruckner fünfmal operiert. Doch es hilft nicht. "Wenn ich im Krankenbett den Fuß gegen das Fenster gehalten habe, konnte ich zwischen Sehnen und Knochen das Licht durchscheinen sehen." Der damals 79-Jährige ist verzweifelt.
Auch die Ärzte sind ratlos, bis eine Dermatologin endlich die richtige Diagnose stellt: Pyoderma Gangraenosum. Eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der der Körper gegen Haut- und Bindehautzellen kämpft. Die Ärzte behandeln ihren Patienten mit Cortison, der Standardtherapie. Die Wunde aber schließt sich nicht. Auf ein weiteres, entzündungshemmendes Medikament reagiert Bruckner mit starken Nebenwirkungen. Von einer sechsten OP rät die Hautärztin eindringlich ab: "An Ihrem Fuß darf nicht mehr geschnitten werden", erinnert sich Bruckner an das Gespräch, "jedes weitere Schneiden heißt Fußamputation als nächstes und wahrscheinlich Tod."
Heilung zu einem hohen Preis
Bruckner liest im Internet von einer Sauerstofftherapie in Druckkammern und von Patienten, bei denen diese die Wundheilung gefördert hätte. Er geht nach Soltau in die Praxis von Dr. Manfred Müller-Kortkamp. Und tatsächlich schließt sich die Wunde, nach 80 Druckkammerfahrten ist der Fuß wieder ganz gesund.
Doch die Freude über die Heilung, sie währt nicht lange: Die DAK will das Geld für die Sauerstofftherapie nicht zahlen. Es geht um rund 16.000 Euro. Einen Teil der Kosten hatte Bruckner aus eigener Tasche vorfinanziert. Auf dem anderen, dem größten Teil sitzt noch immer Dr. Manfred Müller-Kortkamp. "Mit den anderen großen Krankenkassen haben wir keine Probleme", ärgert sich der Arzt, "keine Kasse ist von Anfang an so bösartig, mit einem Dreizeiler die Behandlung abzulehnen."
Zuallererst: Antrag stellen
Die DAK argumentiert: Die Sauerstofftherapie gehöre nicht zu den vertraglich vereinbarten Leistungen. Darüber hinaus hätte Walter Bruckner den sogenannten Beschaffungsweg einhalten müssen: Erst muss ein Antrag gestellt werden.
Hier kollidieren formaljuristische Grundsätze mit medizinischen Leitlinien: "Das ist aus ärztlicher Sicht überhaupt nicht verantwortbar", empört sich Dr. Müller-Kortkamp. Und auch die behandelnde Hautärztin von Walter Bruckner schreibt: Da "sich der Fuß (...) in einem kritischen Zustand befand, musste kurzfristig gehandelt werden ..."
Umsonst gewartet
Im April 2012 bleibt Walter Bruckner nur noch der Weg vors Gericht. Nun schlägt die DAK vor, das Verfahren vor dem Sozialgericht erst einmal ruhen zu lassen. Man befinde sich gerade in letzter Instanz in einem ähnlichen Verfahren vor dem Bundessozialgericht in Karlsruhe. "Urteile vom Bundessozialgericht werden in der Regel von den Sozialgerichten und Landessozialgerichten übernommen", weiß Bruckner. Er ist gutgläubig und lässt sich darauf ein.
Die Monate vergehen. Im Mai 2013 ist das Urteil gesprochen. Die DAK hat in Karlsruhe verloren. Aber jetzt argumentiert die Kasse gegenüber Bruckner: Es habe sich bei dem Fall um eine ganz andere Erkrankung gehandelt. Das Verfahren sei doch nicht auf Bruckner übertragbar. Also keine Kostenübernahme. Walter Bruckner hat umsonst gewartet.
Der Versicherte ist 81 Jahre alt, als er im März 2014 dann vor dem Sozialgericht in Lüneburg gewinnt. Ein neues Gutachten stützt seine Behandlungsmethode. Die DAK soll zumindest einen Teil bezahlen. Beide gehen in Berufung: Bruckner, weil er alles bezahlt haben möchte und die DAK, weil sie nichts übernehmen will.
Streit geht weiter
Fußamputation oder Tod: Eine Amputation hätte die DAK übrigens ohne Diskussionen übernommen. Die Kosten für die Heilung zu tragen verweigert die Krankenkasse.
Seit Februar 2016 liegt der Fall nun vor dem Landessozialgericht in Celle. Wieder Gutachten, wieder empfiehlt das Gericht, man möge zahlen und so einen Prozess vermeiden. Doch die DAK verweist jetzt auf einen Formfehler. Der Streit geht weiter, wahrscheinlich noch über Jahre. Heute ist Walter Bruckner 83 Jahre alt.