Treffpunkt auf dem Land: Wie überlebt eine Kneipe im Dorf?
In Niedersachsen geht die Zahl der klassischen Dorfkneipen stetig zurück. Die Schankwirtschaften - wie sie im Amtsdeutsch heißen - kämpfen ums Überleben. Was helfen kann und warum die Dorfkneipe auch heute ihre Berechtigung hat.
Die Statistik des Landesamtes Niedersachsen macht wenig Mut. 2011 haben noch 3.850 Schankwirtschaften in Niedersachsen zum Verweilen eingeladen. Zehn Jahre später hat sich die Zahl fast halbiert. Das Kneipensterben ist kein niedersächsisches Phänomen. Bundesweit müssen immer mehr Schankwirtschaften schließen. "Mehr Auflagen, hohe Kosten, weniger Konsum sind nur drei Gründe, warum sich das Geschäft für viele Kneipenwirte gerade nicht mehr lohnt", sagt Professor Martin Franz. Der Wirtschaftsgeograf forscht an der Universität Osnabrück zur Zukunft der Kneipen.
Kneipe auf dem Land: Nur Getränke reichen nicht mehr
"Einfach nur Getränke ausschenken und hoffen, dass sich jemand an den Tresen setzt, das reicht heute nicht mehr", sagt Ferdinand Sander. Der 29-Jährige hat vor einem Jahr die Kneipe "Zum Amtsschimmel" in Sulingen (Landkreis Diepholz) übernommen. Mit Veranstaltungen will er die Sulinger in die Kneipe locken. Beispiel: Eine Winterparty mit Schneekanone, ein Pubquiz und Bingo. Jeden Sonntagnachmittag sind die Tische im Amtsschimmel besetzt. Die Sulinger schauen gemeinsam "Bingo!" im NDR - und hoffen auf den großen Gewinn. Geschätzter Altersdurchschnitt: 33. "Bingo und Kneipe, das passt", sagt Anja Gössele. "Das ist sehr gesellig, man ist zusammen mit seinen Freunden und verbringt eine gute Zeit." Besser als allein zu Hause auf dem Sofa.
Die Dorfkneipe - Ort für Traditionen
Für Achim Peters ist eine Kneipe ein Ort, um Traditionen aufleben zu lassen. Der 72-Jährige ist selbst erst vor zwölf Jahren vom Landwirt zum Schankwirt geworden. In Lüllau (Landkreis Harburg) hat er seinen Kuhstall zur Kneipe umgebaut. Der "Dorfkrug am Mühlenteich" ist mittlerweile Treffpunkt für mehr als 20 Stammtische. Auch ein Sparclub hat hier sein Zuhause. Für Achim Peters ist der Tresen das Herz der Kneipe. "Das ist wie beim Friseur: Man darf nicht alles weitergeben, was man da hört", sagt er. Er sei nicht nur Wirt, sondern auch Moderator und Seelsorger. Hier soll auch niemand allein sitzen. "Wir machen erst mal einen Tisch voll und dann kommt der nächste", sagt Achim Peters. Geselligkeit ist sein Erfolgsrezept.
Dorfkneipe ist Dorfmittelpunkt
Welche Rolle Zusammenhalt spielen kann, das zeigt der "Schanko" in Handorf-Langenberg (Landkreis Vechta). Als Wirt Hubert "Schanko" Frilling 2017 mit über 90 Jahren stirbt, steht auch die letzte Kneipe vor dem Aus. Die Menschen im Dorf nehmen die Sache selbst in die Hand, gründen eine Genossenschaft und übernehmen den "Schanko". "Wir haben dabei gelernt, wie gut wir als Dorfgemeinschaft zusammenhalten können", erzählt Maik Escherhaus. Er ist Gründungsmitglied der Genossenschaft. "Viel Arbeit, sehr viel Arbeit", sagt er heute. Aber es habe sich gelohnt. Handorf-Langenberg hat weiter einen Treffpunkt im Dorf. Der "Schanko" ist bis heute ein Zuhause für Vereine und ist Ort für Familienfeiern.
Einfach machen kann sich lohnen
Einen Treffpunkt wollten auch sechs Freunde in Rott (Landkreis Hildesheim) schaffen. Entstanden ist die wohl kleinste, höchste Kneipe Niedersachsens. Das "F.A.P." - Feierabendpils - hat eine Grundfläche von nicht einmal fünf Quadratmetern. Die Kneipe ist in einem alten Trafohaus, direkt an der Dorfstraße. "Das war eine Schnapsidee", erzählt Klaus Beining - im wahrsten Sinne des Wortes. Aber es zeigt: Einfach machen kann sich lohnen. Mittlerweile ist das "F.A.P." Treffpunkt für das Dorf, bietet genug Platz für einen gemütlichen Spieleabend oder ist Ziel mancher Radtour. Dabei ist es keine offizielle Kneipe. Es gibt nur unregelmäßige Öffnungszeiten und Getränke nur gegen Spenden. "Wir könnten die vielen Auflagen einer Kneipe nicht erfüllen", sagt Klaus Beining.
Kneipen sind wichtig für das Dorfleben
Dabei seien Kneipen wichtig für das Gemeinschaftsleben in einem Ort, meint Geograf und Kneipenforscher Franz. "Kneipen stärken den Austausch und das Zusammenleben in einem Dorf." Das Kneipensterben sei daher mit ein Grund für Nachwuchssorgen etwa bei freiwilligen Feuerwehren und in örtlichen Vereinen. Aber was hilft Kneipen beim Überleben? "Oft helfen nur herausragende Angebote, zum Beispiel besonders gute Gastgeberinnen und Gastgeber", sagt Franz. Oder spezielle Aktionen, wie sie Ferdinand Sander im Sulinger "Amtsschimmel" hat. Und auch das Konzept einer Genossenschaft wie beim "Schanko" in Handorf-Langenberg sei erfolgsversprechend. "Denn die Mitglieder fühlen sich für ihre Kneipe besonders verantwortlich", sagt der Kneipenforscher.