Sabotage-Gefahr in der Nordsee: "Der Frieden ist vorbei"

Stand: 17.02.2025 10:38 Uhr

Nach den mutmaßlichen Fällen von absichtlich beschädigten Kabeln am Boden der Ostsee sehen Experten auch in der Nordsee die Gefahr von Sabotage. Moritz Brake spricht im NDR Interview über die "wunden Punkte".

Dr. Moritz Brake ist Mitgründer und Geschäftsführer der Firma Nexmaris, arbeitet an einem interdisziplinären Forschungszentrum zu Sicherheitspolitik (CASSIS) der Universität in Bonn und ist Reserveoffizier der Deutschen Marine. Er berät mit seinem Unternehmen Politik und Wirtschaft zu Fragen der maritimen Sicherheit.

Herr Brake, alle Augen richten sich zur Zeit Richtung Ostsee, weil es dort bereits mutmaßliche Sabotage-Fälle gab. Die Verursacher sind Schiffe, die Russland zugeordnet werden. Drohen solche Gefahren auch in der Nordsee?

Moritz Brake: Ich sehe in der Nordsee vor allem drei wunde Punkte. Zum einen verlaufen durch die Nordsee wichtige Handelswege, also Teile der Lebensadern der modernen Wirtschaft. Über 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs wird über das Meer abgewickelt. Das ist für uns ein empfindlicher Punkt, an dem wir sehr verletzlich sind. Der zweite Punkt ist die Stromerzeugung auf dem Meer. Unser Ziel ist, bis Mitte des Jahrhunderts etwa ein Drittel des deutschen Strombedarfs über Offshore-Wind zu erzeugen und davon einen großen Teil in der Nordsee. Das ist natürlich ein ganz, ganz zentrales Element der kritischen Versorgung Deutschlands und der Bevölkerung. Außerdem verlaufen durch die Nordsee Pipelines, die Gas von Norwegen nach Deutschland liefern. An diesen Pipelines hängt auch heute schon Deutschlands Energiesicherheit in höchstem Maße.

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Sonnenuntergang bei Pilsum, Ostfriesland. © NDR Foto: Holger Hütte

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In der Ostsee wurden Kabel mit Ankern beschädigt. Droht das auch in der Nordsee?

Brake: Die Nordsee ist vor allem eben für die Stromkabel, die von den Offshore-Windparks an Land gehen, relevant. Außerdem gibt es jene Pipelines, die unter anderem von Norwegen in Richtung der deutschen Küste gehen und mit Gas versorgen. Vor Irland gibt es außerdem Transatlantik-Datenkabel, die für das Internet wichtig sind. Auch da sind wir direkt verwundbar. Und auch hier gibt es Aktivitäten russischer sogenannter Forschungsschiffe, die militärischen Zwecken dienen und damit immer für uns auch ganz klar als Sabotage-Vorbereitung und reale machtpolitische Bedrohung gewertet werden müssen.

Bisher gibt es ja nicht einmal ein zentrales, gemeinsames Lagebild der verschiedenen Behörden. Wäre man in der Lage, in der Nordsee schnell zu handeln?

Brake: Das ist eine zentrale Herausforderung. Es gibt Lagebilder, die bei einzelnen Akteuren vorliegen, in Deutschland aber auch natürlich bei den Partnern Deutschlands. Es gibt die Möglichkeit, auf Nato-Ebene und auf EU-Ebene Informationen zusammenzutragen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist keines dieser Lagebilder wirklich vollständig und damit ist man auch nicht in der Lage, verlässlich frühzeitig Auffälligkeiten zu erkennen und rasch Gegenmaßnahmen zu koordinieren. Das gilt insbesondere, wenn es um die sehr komplexe deutsche maritime Sicherheitsarchitektur geht. Dabei ist auch offen, wer jeweils die dringend notwendigen Investitionen in zusätzliche Überwachungstechnologie, KI-basierte Datenauswertung und Gegenmaßnahmen übernimmt. Verdächtiges Verhalten von Handelsschiffen muss rechtzeitig erkannt werden, Behörden müssen wirksam eingreifen können. Auch muss ein möglicher Drohnen-Angriff erkannt und abgewehrt werden können.

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Die Nordsee ist groß, es gibt Zuständigkeiten von Landes-, Bundespolizei und Bundeswehr. Wie gut sind die Behörden aus Ihrer Sicht aufgestellt?

Brake: Für die Nordsee gilt wie für maritime Infrastruktur insgesamt und unsere maritimen Abhängigkeiten, dass kompletter Schutz illusorisch ist. Es ist nicht möglich, all diese Abhängigkeiten komplett so abzusichern, dass uns niemand schaden kann. Es ist daher umso wichtiger, dass wir einerseits Transparenz darüber haben, was eigentlich passiert auf dem Meer. Das heißt, wir müssen mit technischen Mitteln in der Lage sein, zu überwachen, was überhaupt vor sich geht. Und natürlich, so gut es geht, dann auch eingreifen zu können, wenn wir verdächtige Aktivitäten feststellen. Aber das andere ist auch, dass wir auf Resilienz setzen müssen. Also nicht nur auf den Schutz vor unvermeidbaren Störfällen, sondern auch auf die Fähigkeit, Ausfälle möglichst gut auffangen zu können und dann wieder handlungsfähig zu werden. Das heißt also, reparieren zu können und auf Redundanzen zu setzen – parallele Systeme, die die Auswirkungen einzelner Ausfälle weniger gravierend werden lassen.

Bisher gab es Vorfälle eher in der Ostsee. Inwieweit ist die Nordsee bereits betroffen?

Brake: Der Frieden ist vorbei! Das, was wir als Friedenszustand kennen und erwarten, das ist längst vorbei. Auf den Meeren zeigt sich das bisher deutlicher als in der direkten Lebensrealität der Menschen. Um es zu verdeutlichen: Beim Thema Cybersicherheit, ebenfalls außerhalb der Wahrnehmung der meisten Menschen, haben wir in den letzten Jahren eine drastische Zunahme an Angriffen auf deutsche Unternehmen gesehen. Von 2022 auf 2023 gab es einen sprunghaften Anstieg von 30 Prozent der Überfälle mit Milliardenschäden. Die wesentlichen Urheber dieser Angriffe kommen aus China und Russland. 2023 gab es einen kombinierten Schaden von 270 Milliarden Euro aus physischen und digitalen Angriffen in der deutschen Wirtschaft. Das spüren wir in der Realität. Und das gilt auf dem Meer genauso. Unsere vitalen Interessen verlaufen über das Meer, und dort werden sie längst angegriffen. Wir sind noch nicht im Krieg. Aber das, was wir als Frieden kennen, ist längst vorbei.

Ein Soldat mit einem Jam oder Störsender nimmt an einer Gegendrohnenübung in der Generalleutnant Best Barracks teil. © picture alliance Foto: Robin van Lonkhuijsen
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Was müsste die Landes- und Bundespolitik aus Ihrer Sicht leisten?

Brake: Viele der Akteure wie Hafenbetreiber, Offshore-Betreiber, Reedereien warten auf klare Signale, was von ihnen erwartet wird. Landes- und Bundesregierung müssen klar und deutlich formulieren, was sie von den Unternehmen und von ihren Bürgern erwarten, um zu der gesamtgesellschaftlichen Resilienz beizutragen. Auf Bundesebene warten zwei wichtige Gesetzesvorhaben zum Schutz kritischer Infrastruktur. In Niedersachsen ist die traditionell starke Werftindustrie in den letzten Jahrzehnten massiv unter strategischen Druck gekommen, machtpolitisch gesteuert auch durch China. Das ist etwas, auf dass wir uns wieder mehr besinnen müssen. Diese Industrien und die immensen Potenziale junger innovativer Unternehmen müssen wir ertüchtigen. Das sind große Aufgaben für die gesamte Gesellschaft.

Das Interview führten Thees Jagels und Angelika Henkel, NDR.de.

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